Trauer. Darum geht es hier heute: Trauer. Schreiben, reden, nachdenken über Trauer. Silke vom Blog In lauter Trauer hat dazu aufgerufen. 27. Februar 2017: Alle reden über Trauer!
Trauer. Ich sitze im Zug, lasse meine Finger über die Tastatur gleiten. Ich schreibe einfach darauf los. Aber was? Ich weiß es nicht. Ich hatte ein paar Ideen, aber diese sind verflogen, fühlen sich nicht mehr so passend an. Aber was ist passend? Was kann ich heute schreiben, Dir erzählen? Ich weiß es nicht und lasse mich hier einfach mal darauf ein: schreiben, ohne zu wissen, was da kommen wird.
Der 27. Februar. Das war der Geburtstag von meinem Opa. Das Datum habe ich verinnerlicht, so wie andere Daten auch.
Die Sonne kommt hervor. Welch eine Freude. Die letzten zwei Tage waren grau und verregnet. So langsam reicht es mir mit dem trüben Winter. In Berlin ist er kaum noch verschneit. Den letzten Schnee, der Berlin über Wochen lahm legte war zum Neujahr 2011, das Jahr, in dem meine Tochter geboren wurde. Vorsichtig tastete ich mich mit meinem dicken Bauch durch die Straßen, mit dem Ziel bloß nicht zu fallen. Im März dann konnte die Straßenreinigung den Müll aus der Silvesternacht entfernen… Ich schweife ab.
Den Geburtstag meines Opas habe ich noch im Kopf, auch von anderen Verwandten. Aber die Todesdaten kann ich mir nicht merken. Das fällt mir jetzt erst auf, während ich diese Zeilen schreibe. Ich weiß, mein Opa ist vor einigen Jahren im August gestorben. Er war müde, müde vom Alter, von den körperlichen Einschränkungen, davon, dass seine Frau niemanden mehr erkannte, nicht mehr redete, weil sie an starker Demenz erkrankt war. Mein Opa war müde vom Leben, denke ich. Vor einigen Wochen ist meine Oma gestorben, seine Frau. Sie hatte sich vor vielen Jahren schon zurückgezogen. So sehe ich ihre Demenzerkrankung irgendwie. Meine Großeltern waren Teenager, als der zweite Weltkrieg beendet wurde. Meine Oma musste sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester als Flüchtling im Nachkriegsdeutschland zurechtfinden. Meine Großeltern haben sehr früh geheiratet und bekamen drei Kinder. Der Älteste war mein Vater. Oma und Opa haben die DDR mit aufgebaut und ihre Kinder in diesem Sinne erzogen. Vierzig Jahre später fiel über Nacht die Mauer und die DDR gab es plötzlich nicht mehr. Oma und Opa kamen dann ins Rentenalter und zogen in das Haus meiner Uroma. Sie versuchten sich im für sie neuen System zurechtzufinden, kauften sich ein neues Auto, renovierten das Haus und richteten den Garten her. Irgendwann ging es nicht mehr. Mein Opa wollte mit seiner Frau in ein Heim. Das Haus, der Garten, die Pflege meiner erkrankten Oma, das wurde alles zu viel. Mein Vater und ich begannen, das Haus auszuräumen…
Vor einigen Wochen bekam ich von meinem Vater das gerahmte Hochzeitsfoto meiner Großeltern. Es ist handcoloriert. Vor einigen Tagen habe ich es in unserer Wohnung aufgehängt.
Ich bin traurig, dass ich meine Großeltern vieles, was mich heute interessiert, nicht mehr fragen kann, dass vieles unbeantwortet bleibt. Aber ich freue mich auch, dass ich immer noch eine Verbindung spüre. Sie sind meine Vorfahren. Sie sind die Eltern meiner Eltern. Ich habe schöne und Erlebnisreiche Sommer- und Winterferientage als Kind bei ihnen verbracht.
In meinem kreativen Tun und in meiner Kunst widme ich mich auch den Erinnerungsstücken meiner Großeltern und meinen persönlichen Erinnerungen an Oma und Opa. Bettwäsche und Tischdecken verarbeite ich nach und nach, zum Beispiel zu Vorhängen für meine Tochter. Ideen, Bilder, Texte und Installationen wachsen und werden.
Jetzt klingt der Text irgendwie so traurig. Dabei hatte ich das gar nicht vor. Über Trauer, das geht auch fröhlicher und lächelnder, dachte ich vorab – aber heute bei mir wohl nicht. Auch eine Wesensart von Trauer: Sie kommt, wie sie kommt. Dann ist es das beste, sie so zu nehmen, wie sie kommt.
Wie das Wetter draußen. Es regnet. Die Tropfen gleiten an den Fensterscheiben des Zuges entlang, der durch die Landschaft saust. Ich lasse ihn rasen, schließe die Augen und sehe das Feld vor mir, auf dem wir mit Oma und Opa früher im Winter vereiste Pfützen zum Rutschen gesucht haben…
Alle reden über Trauer! Ein Tag, viele Blogger, viele verschiedene Facetten von Trauer. So lautet der Aufruf von Silke.
Trauer und Tod sind immer noch Tabuthemen in unserer Gesellschaft. Oder zumindest Themen, über die viele von uns nicht gerne reden wollen, die Angst machen und Unsicherheit wecken.
Alle Beiträge findet Ihr hier, bei Silke im Blog. Ich bin auf die Vielfalt gespannt.
Ich selbst finde es auch wichtig, dass Trauer, dass der Tod wieder mehr Raum in unserer Gesellschaft bekommen, dass wir hinschauen, dass wir unsere Ängste überwinden, dass wir uns auch dieser Seite des Lebens widmen, dass wir dem Tod und der Trauer Aufmerksamkeit schenken. Denn dann schenken sie uns so viel mehr, zum Beispiel Dankbarkeit und die Freude an kleinen Dingen und Gesten, die dadurch groß werden und intensiv wirken. Der Tod und die Trauer können uns auf das Wesentliche im Leben schauen lassen, sie relativieren vieles, lassen uns neben den Tränen auch lächeln und lachen, sie zeigen uns die Liebe. …wenn wir uns dem öffnen.
In diesem Sinne wünsche ich Dir einen achtsamen Tag, vielleicht mit Tränen in den Augen, aber auch mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir sind nicht allein. Du bist nicht allein. Ich bin nicht allein. Herzliche Grüße, Doreen
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