Vor einiger Zeit habe ich der Zeitschrift FLOW, Nr. 16 ein „Erinnerungsbüchlein“ entnommen und für irgendwann einmal beiseite gelegt. Nun habe ich es hervorgeholt und begonnen ein paar der vorgegebenen Fragen und illustrierten Seiten des schmalen Heftes zu beantworten.
…Dieses Büchlein hilft dir dabei, dich zu erinnern: an vergessene Lieblingslieder, alte Schulfreunde, Süßigkeiten… an Szenen aus deiner Kindheit und Jugend… (Zitat aus der Einleitung des Erinnerungsbüchleins)
Ich finde solche Anregungen zwischendurch ganz nett. Doch so richtig kann ich ihnen nicht immer folgen, sind sie in eine bestimmte Richtung ausgelegt: nostalgisch, schwelgend, schön. Dafür fehlt mir einfach der rosa-rote Blick. Auch kann ich nicht alle Fragen beantworten, weil bestimmte Dinge in meinem Leben keine Rolle spielten. Die Illustrationen spiegeln eine Kindheit im früheren westlichen Teil Deutschlands wieder, in denen ich mich nicht wiederfinden kann. Aber ich wollte es mal ausprobieren und habe mich an diese Erlebnisse erinnern können:
Ich habe die alte Küche meiner Oma vor Augen, wie in ihr die schönsten und leckersten, selbst gebackenen Torten für ein großes Fest bereit standen. Der Geschmack von Tomatensaft, den ich eine Zeit lang immer abends zum Essen, gewürzt mit Salz und Pfeffer trank, liegt auf meiner Zuge. Der Duft von frisch gebackenem Streußelkuchen, den ich mir Samstagmorgen beim Bäcker um die Ecke kaufte, liegt in meiner Nase… (drei meiner Erinnerungen)
Irgendwie kam mir dann noch dieses Gedicht in den Sinn, das ich vor bald zehn Jahren mal geschrieben hatte:
Erinnerungen
Gedanken
wandern
in Erinnerungen
auf lichtüberfluteten Wegen
in ungeahnten Verstecken
Bilder und Gerüche
Gefühle
ohne Vorwarnung
Orte und Menschen, Erlebnisse
aus der Vergangenheit
Gedanken
wandern
in Erinnerungen
im gestern, heute morgen
eine Reise ohne Plan
Erinnerungen
bringen Tränen
bringen Freude
leben im Inneren
leben im Jetzt
Erinnerungen
(c) hehocra, 2007
Nimmst Du Dir solche Heftchen gern zur Hand und lässt Dich von den Fragen treiben? Wie geht es Dir dabei? Sind sie Dir eine Inspiration?
Liebe Doreen,
ja, ich habe auch Erinnerungsbücher – jedoch habe ich begonnen, mich teilweise von diesen Büchern zu trennen. Es scheint unvorstellbar aber ich habe mich von den Büchern von 1971 – 1984 getrennt. Die Bücher haben mich während meiner Schulzeit begleitet. Dieses Mädchen, diese Frau, die dort schreibt war einfach nicht mehr ich. Mir ist es wichtig, nur die Dinge aufzuheben, die ich aufhebenswert finde. So bleibt das Extrakt übrig, das mir wichtig ist und geht nicht in der Menge der Dinge unter. Wenn wir – der Mensch – stirbt, wird sein Besitz augenblicklich zu Müll. So schrecklich es ist. Die Vergangenheit hat es mir gezeigt. Ich war gestern bei einer Künstlerin mit einem bisherigen Oevre mit 900 Leinwänden. Sie wird im Dezember 80 Jahre alt und steht vor dem Problem, was mit ihrer Kunst geschieht. Ich möchte meinem Sohn ein Extrakt hinterlasse, das zu handhaben ist.
Liebe Grüße von Susane
Liebe Susanne,
…ein Extrakt… das ist ein sehr passendes Bild. Noch bin ich nicht soweit, aber irgendwann, werde ich auch gezielt aussortieren. Einiges habe ich auch schon in eigenen Werken verarbeitet.
Ich bekomme gerade Unterlagen, Erinnerungsstücke, Dias meiner Großeltern… Damit beschäftige ich mich auch gerade, erfahre neues… Aber es ist noch offen, was ich damit mache. Mal schauen…
Bei mir fließt so etwas ja irgendwie in meine Arbeiten mit ein. (nicht alles, das ist klar) Und ich habe das Gefühl, wenn das geschehen ist, kann ich das ursprüngliche Material aussortieren.
Früher oder später stellt sich wohl jede/jeder, die Tagebuch oder auf andere Art Erinnerungen bewahrt, die Frage, was mache ich damit, was passiert damit. Und KünstlerInnen stellen sich irgendwann auch die Frage hinsichtlich ihrer Werke.
Kürzlich bin ich auf die bereits vergangene Aktion von Annegret Soltau aufmerksam geworden. Der Ursprung war wohl auch der Gedanke, was sie ihren Kindern hinterlässt bzw. was sie zu Lebzeiten noch macht. https://born.com/view/692/annegret-soltaus-digital-catalogue-raisonn
Wenn wir gehen… Was bleibt… Ja, da bleibt viel Müll, in den Augen anderer. So ging es mir auch, als ich das Haus meiner Großeltern mit leer geräumt habe…
Ein Thema, das es wert ist, intensiv betrachtet zu werden.
Sonnige Wochenendgrüße, Doreen
Liebe Doreen,
danke für diesen sehr inspirierenden Link von Annegret Soltaus Ausstellung.
Ich denke auch, dass es ein interessantes Thema ist, gerade weil die Menschen im reichen Europa dazu neigen, immer mehr Dinge anzuhäufen.
Meine Oma hatte sehr wenig Besitzstand, 1913 geboren und vor knapp 15 Jahren gestorben gingen ihre Fotos in einen kleinen Briefumschlag. Wer im Krieg zweimal ausgebombt wurde, der lernt wohl früh, Abstand von diesen Dingen zu nehmen.
Liebe Grüße aus dem sonnigen Wedding von
Susanne
Liebe Susanne, das freut mich. Ich kenne das andere ‚Phänomen‘: Dinge anhäufen, weil sie früher knapp waren, verloren gingen… Dann kommt noch die ostdeutsche Prägung hinzu, als Waren knapp waren und man nicht alles einfach so, wie heute ‚endlos‘ nachkaufen konnte. Aber ja, das Sammeln von Fotos und Daten und… das hat mit der Digitalisierung merklich zugenommen. Herzliche Grüße aus den Bergen, Doreen