Für mich sind Vergangenheit und Zukunft heute.
In meiner Kunst arbeite ich mit Erinnerungen, mit Prägungen, die sich heute zeigen, um an der Stelle in die Veränderung zu gehen, an der ich merke, da behindert mich etwas, da schränkt mich etwas ein, da macht mir etwas Angst. Ich bin Künstlerin und Impulsgeberin. Ich lerne. Ich lerne jeden Tag.
Warum sollten wir uns ausgerechnet heute mit der Vergangenheit beschäftigen? Dieser Frage bin ich am 13. November in einem kurzen Video zu meiner aktuellen Ausstellung „Immer bereit!?“ schon nachgegangen. Und in den letzten Tagen zeigte sich ganz deutlich, wie sehr die Vergangenheit eine Rolle spielt und wozu die Vergangenheit auch benutzt wird.
Und es ist persönlich. Ja, es ist persönlich.
In meiner Kunst, in Vorträgen, Interviews und Gesprächen erzähle ich meine Geschichte, meine persönliche Geschichte. Das ist mir sehr wichtig. Ich kann nur von mir erzählen, von meinen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, von meiner Auseinandersetzung. Ich erzähle meine Geschichte. Aber ich kann nicht die Geschichte meines Vaters erzählen. Das steht mir nicht zu. Ich kann erzählen, was seine Geschichte mit mir gemacht hat, wo sie mein Leben beeinflusst und mich geprägt hat. Aber ich kann mir seine Geschichte nicht zu eigen machen. Es ist seine Geschichte. Es ist die Geschichte meines Vaters und sie verdient Respekt, meinen Respekt und meine Liebe.
Jeder, jede hat ihre eigene Geschichte, ihre ganz persönliche Geschichte.
Ich bin fasziniert von den Geschichten anderer und interessiere mich für die Geschichten anderer. Ich schaue neugierig auf das, was die Geschichten mit mir machen. Was lösen sie in mir aus? Wo berühren sie mich? Wo kann ich Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede entdecken? Und ich ziehe Parallelen zur gesellschaftlichen und politischen Historie. Denn wir sind beeinflusst und geprägt von den Systemen, in denen wir aufwachsen und leben, von den familiären, gesellschaftlichen und politischen Systemen. Wir können voneinander lernen. Das ist unsere Aufgabe. Uns gegenseitig zuhören, inspirieren, lernen.
ABER was ich nicht kann,
…dass ist, Deine Geschichte zu meiner zu machen. Das steht mir NICHT zu. Ich kann wiedergeben, was Du mir erzählst. Ich kann wiedergeben, was ich gelesen habe, was ich wahrnehme, was ich beobachte. Ich kann erzählen, was Deine Geschichte mit mir macht, was sie in mir auslöst, wo sie mich berührt, wo ich Ähnlichkeiten entdecke, wo ich Unterschiede finde. Aber ich kann nicht Deine Geschichte zu meiner Geschichte machen. Ich gehe sogar soweit und sage: Ich darf Deine Geschichte NICHT zu meiner Geschichte machen, ich darf sie nicht missbrauchen. Jede Geschichte verdient ihren Respekt.
Wir können den Missbrauch von Geschichten gerade öffentlich sehr klar wahrnehmen und beobachten.
Ich selbst habe in den vergangenen Wochen erfahren, wie es sich anfühlt, wenn meine eigene Geschichte für die politische Wahrnehmung und Bewertung anderer missbraucht wird. Ja, das ist nicht schön. Ich brauchte einen Moment, um das einordnen und vor allem Worte dafür finden zu können. Denn so habe ich das noch nie erlebt.
Wir alle erleben es gerade öffentlich. Ja, unsere kollektive Geschichte, die Geschichte einzelner Personen, die Geschichten von Anne Frank und Sophie Scholl werden missbraucht. Geschichte kann hinterfragt werden. ABER Geschichte darf NICHT missbraucht werden.
Was können wir tun?
Wir können wahrnehmen, beobachten und uns Fragen stellen, Stellung beziehen. Wir können hinterfragen.
Was macht es mit uns, wenn unsere kollektive Geschichte derart missbraucht wird? Was macht es mit uns einzelnen? Wie geht es Dir damit? Was hat das mit uns persönlich zu tun? Wie ist unsere Geschichte mit der kollektiven Geschichte verbunden? Wie gehen wir mit unserer Geschichte um? Wie sehen wir unsere ganz persönliche Geschichte? Welchen Stellenwert hat sie heute? Wie leben wir die Verantwortung für unsere kollektive Geschichte?
Wie gestaltest Du die Verantwortung für Deine eigene Geschichte? Setzt Du Dich damit auseinander?
Wir haben eine kollektive Geschichte. Wir haben unsere persönliche Geschichte. Alle unsere Geschichten sind miteinander verbunden. Wir dürfen wahrnehmen, beobachten, uns berühren lassen, uns irritieren lassen, voneinander lernen, uns inspirieren.
ABER wir dürfen nicht, die Geschichten des anderen zu unseren eigenen Geschichten machen.
Schaut auf Eure Geschichte.
Schaut auf Eure Erfahrungen.
Schaut auf das, was Euch geprägt hat und verändert das, was nicht zu Euch gehört.
Die Veränderung beginnt bei uns selbst.
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Das Bild in diesem Beitrag ist Teil der Ausstellung „Immer bereit!?“, die Du mit einem Klick online besuchen kannst: Bitte hier entlang…
Dieser Artikel gefällt mir sehr und hat mir beim Lesen noch einmal deutlich vor Augen geführt, was mich an den derzeitigen geschichtlichen Vergleichen stört – lieben Dank dafür!
Ich danke Dir für Deine Zeilen. Sie sind aus einer inneren Wut heraus geschrieben, eine eigene Wandlung. Ich freue mich, dass sie inspirieren.