Nur noch wenige Stunden und das Jahr 2020 ist Geschichte. Aber unsere Geschichte geht weiter. Doch jetzt zwischen den Jahren ist für mich der Moment, zurückzuschauen, bevor ich wieder nach vorne schaue. Gestern, heute, morgen – diese drei Worte verbergen sich hinter dem Titel meines Ateliers, meines Nicknamens: hehocra. Heri, hodie, cras – lateinisch für gestern, heute, morgen. In den Rauhnächten ist alles jetzt, so intensiv wie sonst wohl kaum im Laufe eines Jahres. Alles ist jetzt. Wo beginne ich meine Rückschau? Was stelle ich in den Vordergrund? Was lasse ich weg? Was habe ich sowieso vergessen? Wo höre ich auf? 365 Tage… Ach nein, 366 Tage. 2020 war ein Schaltjahr. Aber irgendwie ist das eine Information, die nicht wichtig ist. 

 

Selbstporträt, Februar 2020, (c) Doreen Trittel

Selbstporträt, Februar 2020, (c) Doreen Trittel

366 Tage

Aber halt, doch! Das ist sie! Diese Information ist sogar sehr wichtig. Denn an diesem Abend, am 29. Februar 2020 war lauschte ich den Liedern von Max Raabe und dem Palastorchester. Das war so wunderbar: „Guten Tag, liebes Glück…“ Ich erinnere mich, dass ich schon ein leichtes mulmiges Gefühl hatte. Corona war schon längst in Europa und auch in Deutschland angekommen. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir es nicht mehr lästig abwinken. Aber wir waren bei diesem Konzert und es war eine große Freude. 

 

Selbstporträt, Juli 2020, (c) Doreen Trittel

Das große, lästige und wie ein Brennglas wirkende C

Ich hätte meinen Rückblick gern ohne dieses alles dominierende Thema geschrieben. Aber es nützt ja nix. Es war da und es ist noch da. Es hat auch mein Jahr 2020 beeinflusst und geprägt. Es stellte uns vor Herausforderungen, von denen wir hier noch vor einem Jahr nichts ahnten. Die Welt hat sich in 2020 verändert. Und wir haben noch keine Vorstellung davon, wie sich diese Veränderungen auswirken werden. Wir stecken mittendrin.

 

Selbstporträt, April 2020, (c) Doreen Trittel

Immer wieder: Zurück zu mir

Ja, wir stecken mittendrin. Und deshalb fühlt sich der anstehende Jahreswechsel für mich auch nicht so richtig nach Abschied, nach Loslassen oder einen Übergang an, der mit dem 1. Januar abgeschlossen sein wird. Nein. Wir stecken mitten in der Veränderung und sie lässt sich nicht von unserem Kalender und auch nicht von den Jahreszeiten beeindrucken. Das klingt jetzt negativ. Oder ist es realistisch? Ich habe keine Ahnung. Es ist mein Gefühl und dem darf ich trauen. Das ist meine Aufgabe, mehr und mehr meinem eigenen Gefühl zu vertrauen und meinen eigenen Impulsen zu folgen. In dieser Hinsicht war 2020 definitiv eine wichtige Lektion für mich. Denn gerade bei den Unsicherheiten und Ängsten im Außen, war es eine enorme Herausforderung für mich, bei mir zu bleiben, in meiner Mitte stabil zu sein. Es ist mir nicht immer gelungen. Nachrichten, Berichterstattungen und auch die Ängste von Menschen in meinem Umfeld verunsicherten mich, ließen mich zweifeln, schürten meine Ängste. Aber bei allem wusste ich immer, ich möchte wieder in meine Mitte zurück. Ich muss in meine Mitte zurück. Denn ich habe ein Kind, für das ich gerade in dieser Zeit ein sogenannter Fels in der Brandung sein möchte – für mich selbst, für mein Kind und für meinen Mann. Das war und ist meine oberste Priorität. Das ist mir wieder einmal bewusst geworden. Viele Jahre habe ich mit meinem Brotjob als Sachbearbeiterin gehadert. In 2020 bin ich nicht nur durch einen Wechsel sondern auch durch die Sicherung meiner Existenz angekommen. Der kulturelle und künstlerische Bereich leidet sehr stark unter C. Das bekomme auch ich zu spüren. Aber durch diese Krise fühle mich mit der Aufteilung meiner Tätigkeiten, meinen zwei Standbeinen versöhnt und bin unendlich dankbar. Neben meiner kleinen Familie bin ich auch für meine Herkunftsfamilie, meine Eltern und für Freund:innen da. Ja, soweit es mir möglich ist. Auch das habe ich in 2020 erfahren, ich muss mit meinen Kräften und Energien haushalten. C hat hier einiges von uns abverlangt. Entscheidungen mussten getroffen werden, die zuvor selbstverständlich waren, über die wir nun aber plötzlich nachdenken mussten und das auch intensiv, allein mit sich und im Austausch gemeinsam. Das erforderte unglaublich viel Ressourcen, die an anderer Stelle fehlten. Gleichzeitig lenkten sie dadurch den Blick auf das Wesentliche. Und so manches, was mich lange Jahre begleitete, wollte nun losgelassen werden. Abschiede haben es in sich. 

 

Selbstporträt, Oktober 2020, (c) Doreen Trittel

Machst Du noch Pläne oder lebst Du schon?

ich schaue aus dem Fenster. Zwischen den Häusern, über den Dächern kann ich noch einen Hauch vom Sonnenuntergang wahrnehmen. Der Tag hat sich verabschiedet. Es ist zehn vor fünf. Heute war das Wetter schön. Wie es morgen wird? Das weiß ich noch nicht. Ich werde es sehen. Auch lasse ich mich vom Tag überraschen. Ich habe keine Pläne. 2020 war auch dadurch gekennzeichnet, dass sich Pläne von heute auf morgen ändern, dass sich Pläne nicht lohnen, dass es aber dennoch Orientierung braucht. Ich erinnere mich an intensive Gespräche mit Freund:innen, in denen wir uns gegenseitig immer wieder daran erinnerten, auf das eigene Gefühl zu vertrauen. Die Orientierung sind wir. Die Orientierung sind unsere eigenen Impulse. Ja, es gibt Regeln, die für unsere Gemeinschaft, für unsere Gesellschaft wichtig sind. Es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen, ob ich sie nun für richtig halte oder nicht. Aber neben diesen Regeln gibt es auch immer wieder die eigene Orientierung, die eigenen Möglichkeiten, selbstwirksam tätig zu sein. Hier war und ist mir die Kunst, das eigene kreative Tun immer ein wichtiger Anker. Dies, so hoffe ich, konnte ich auch meinen Kund:innen vermitteln, ihnen dahingehend Impulse schenken und Orientierung bieten. Allein die Betrachtung des Wortes Veränderung und was sich für uns darin verbirgt, das aktive Gestalten mit den Händen, waren sowohl im Homeschooling als auch in Workshops eine gute Möglichkeit, den Fokus auf seine eigenen Erfahrungen und Ressourcen zu lenken. Das tat in vielerlei Hinsicht gut.

 

Selbstporträt, April 2020, (c) Doreen Trittel

Vom Ernten, Ankommen, kreativen Kooperationen und verrückten Kunst-Aktionen

Gerade in diesem Jahr waren wir sehr auf die Gegenwart bezogen. Und doch holte uns unsere Vergangenheit stärker ein als uns vielleicht bewusst ist. C präsentierte uns direkt oder auch indirekt viele Triggerpunkte, die Angst hervorriefen – mitunter große Angst. Und da kam es auch vor, dass unsere Vergangenheit missbraucht wurde und wird. Auch hier stecken wir mittendrin und dürfen unsere Hausaufgaben machen. Hierbei stehe ich mit meiner Kunst und meinen Impulsen gern zur Seite.

Im Herbst jährte sich die Deutsche Einheit zum 30. Mal. Hier denke ich an das Projekt „Von B nach B“ von der Fotografin Mina Esfandiari, bei dem ich mitwirken durfte. Und ich freue mich über „Schwalbenjahre“, einem Projekt der Fotografin Jessica Barthel, für das ich Einblicke in mein privates Fotoalbum gewährte. Für eine Folge des ZDF-Podcast „meine Wende. unsere Einheit?“ konnte ich meinen Weg der privaten und künstlerischen Auseinandersetzung mit meinen eigenen ostdeutschen Erfahrungen und Prägungen in wenigen Minuten zusammenfassen: Nicht nur Stasi und Rotkäppchen Sekt. Das hätte ich vor einem Jahr noch nicht gedacht, dass das geht. 

Mit der Künstlerin Susanne Haun habe ich weiter an unserem gemeinsamen Projekt „unvergleichlich GEMEINSAM“ gearbeitet. Wir waren mit zwei Bildern in der Galerie der Einheit bei den offiziellen Feierlichkeiten in Potsdam und wir haben über mehrere Tage auf Instagram und in unseren Blogs Einblicke in die gemeinsame Kunst, bestehend aus einer Installation, Collagen, Gesprächen und korrespondierenden Arbeiten gewährt. Dadurch waren wir nicht nur uns selbst sehr nahe, sondern konnten auch Anregungen in die Welt schicken. 

Und ich habe meine Ausstellung „Immer bereit!?“ ins Netz geholt. Aufbauend auf meinen Erfahrungen der letzten Jahre konnte ich eine Online-Ausstellungsseite mit Videos, Bildern und Texten, Empfehlungen und weiterführenden Links gestalten. Noch vor C beschäftigte mich persönlich mein eigener Leistungsanspruch, meinen inneren Erwartungen, „Immer bereit“ zu sein. Was zudem als verrückte Idee daher kam, entwickelte sich als spontan fröhliche Aktion, die bestimmt vielen Menschen mindestens ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Kathrin Möller, die Leiterin vom Frauenzentrum Paula Panke und ich haben in der Ausstellung vor Ort getanzt. Damit folgten wir einer Dance-Challenge, die schon seit Monaten weltweit viel Freude und Zusammenhalt verbreitet. 

 

Porträt Doreen Trittel, Dezember 2020, (c) privat

 

Ich bin eine stolze Superheldin

Bei allen kleinen und großen Herausforderungen in diesem Jahr bin ich enorm stolz auf mich. Ja, ich bin sehr stolz auf mich. Emotional habe ich so manche Parallelen zu den Veränderungen, die nach dem Mauerfall 1989 folgten, wahrnehmen können. Plötzlich war alles anders. Plötzlich galt das, was gestern richtig war, nicht mehr. Und davon sind alle Menschen um uns herum, eine ganze Gesellschaft betroffen. Es geht allen so in unterschiedlichen Ausprägungen. Wir sind alle mit Herausforderungen und Ängsten konfrontiert, die wir uns nicht ausgesucht haben. Und im Vergleich zu damals, da war ich 16 Jahre jung, fühle ich mich innerlich wesentlich stabiler und ja, auch erfahrener. Meine ganz persönlichen Erfahrungen mit Veränderungen und meine künstlerischen Aktivitäten rund um das Thema Veränderung kamen und kommen in dieser Zeit voll zum Tragen und es fühlt sich zwischendurch wie ernten an. Das macht mich stolz.

 

Du bist eine Superheldin, ein Superheld

Ich schreibe das hier nicht nur für die Blogparade von Anna Koschinski –  Warum ich ein*e Superheld*in bin – Helden-Storys. Sie hatte nämlich aufgerufen, uns unseren Superheld:innen-Kräften zuzuwenden und die zurückliegenden Monate Revue passieren zu lassen.

Ich schreibe das hier auch für mich, denn ich weiß, es wird auch wieder unsichere Zeiten und beängstigende Momente geben, Phasen, in denen ich mich in einem schwarzen Loch fühle. Denn in diesen Stunden und Tagen kann ich kaum oder gar nicht wahrnehmen, was ich schon alles gemeistert habe, was ich schon alles gewuppt habe.

Ich schreibe das hier auch für Dich, denn ich kann mir vorstellen, dass es Dir ähnlich geht. Auch wenn der Aufruft zur Teilnahme an der Blogparade mit dem Jahr 2020 endet, so möchte ich Dir dennoch die Anregung mit auf den Weg geben:

 

Mache Dir bewusst, was Du alles erfahren und bewältigt hast.

Erzähle davon, schreibe es auf. Denn es wird Dir gut tun. Es wird Dir helfen. 

 

Selbstporträt, September 2020, (c) Doreen Trittel

Für Dich gesammelt

So wie uns die #farbverrückt Reise von Katja Otto und mir gemeinsam mit Euch im Sommer und Herbst 2020 durch die Farben des Regenbogens hilft und weiterhin helfen wird. Ganz im Sinne der Maus Frederick haben wir Farben, das Bunt für den Winter, für Durststrecken, für herausfordernde Stunden und Tage, Wochen und Monate gesammelt. Solltest Du noch Farben gebrauchen können, dann habe noch etwas für Dich: Du kannst Dir einen der noch vorhandenen #farbverrückt Kalender 2021 oder ein #farbverrückt Mini-Leporello nach Hause schicken lassen. (Bitte hier entlang…) Die Farben erinnern uns an das Schöne im Leben. Sie erinnern uns an das Miteinander, an das Menschliche in uns.

Die Farben erinnern uns, genauso wie diese Worte, an unsere Superheld:innen-Kräfte.

Komm: Ich geb Dir fünf. Gib Du mir fünf. Yeah.

 

Selbstporträt (mit C-Frisur), Dezember 2020, (c) Doreen Trittel

 

Mein Jahr 2020 in Selbstporträts

Ein Highlight für mich war auch mein Online-Vortrag beim Stammtisch der Smartphotoschule aus München. (Die Gründerin Simone Naumann hatte bei #farbverrückt über ihre roten Schuhe gesprochen.) In dem Vortrag legte ich den Blickpunkt auf die Bedeutung und den Gewinn von Selfies bzw. Selbstporträts in der Reflektion und Auseinandersetzung mit eigenen Themen. Daher habe ich für meinen persönlichen Rückblick auch verschiedene Selbstporträts und ein Porträt ausgewählt. In 2020 sind wir uns selbst, ob bewusst oder unbewusst, näher gekommen. Selbstporträts werden auch in meinem ersten Freebie in 2021 eine Rolle spielen. Ich bin gespannt, welche neuen Perspektiven es Dir ermöglichen wird.

 

In diesem Sinne eine schöne und zuversichtliche Vorfreude

auf das, was uns 2021 erwarten wird. 

 

Selbstporträt, August 2020, (c) Doreen Trittel