Unsere Ahnen erahnen

Unsere Ahnen erahnen

Der November kommt ja meist trüb und grau daher. Symbolisiert er den Abschied, die Vergänglichkeit. Mehrere Gedenktage erinnern an die Toten und schaffen eine Verbindung zu unseren Ahnen.

Der Frage, wie sehr uns unsere Vorfahren bewusst und vor allem unbewusst prägen, versuche ich mich immer wieder zu nähern. Sich mit den eigenen Ahnen zu beschäftigen muss aber nicht immer so düster und trist sein, wie man es gern dem Trauermonat November zuschreibt. Dies habe ich bei dieser Arbeit selbst erfahren dürfen. Die Collage geht auf eine Mediation zurück, die sich der Heilung der Ahnenreihe widmet.

Tragen wir so manche Päckchen in unserem Rucksack, die schwer wiegen. Gleichzeitig sind uns Energiequellen, aber vor allem das Leben geschenkt worden. Wir können unsere Ahnen nur erahnen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber sich dennoch mit den eigenen Ahnen zu beschäftigen, gehört für mich immer zur Frage: Wo komme ich her?

 

Ahnenkraft, Collage, 2016, (c) hehocra

Ahnenkraft, Collage, 2016, (c) hehocra

 

Der 9. November: Ein bedeutender Teil meines Lebens

Der 9. November: Ein bedeutender Teil meines Lebens

Vor siebenundzwanzig Jahren. Es war ein Morgen wie viele andere Morgen zuvor auch. Ich ahnte nicht, dass sich die Welt um mich radikal verändern würde. Ich war sechzehn Jahre alt.

Der 9. November 1989 ist ein Datum, das sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. Jede, jeder, der diesen Tag und dieses Ereignis bewusst erlebt hat, wird sich daran erinnern, wo sie war, wie er vom Fall der Mauer erfahren hat. Meine Erinnerungen hatte ich schon einmal festgehalten: 9./ 10. November 1989 – persönliche Erinnerung. Na, tauchen bei Dir auch gleich Erinnerungen auf?…

 

Lenin, Ausschnitt, (c) hehocra

Lenin, Ausschnitt, (c) hehocra

 

Heute, 27 Jahre später, ist diese Vergangenheit für mich immer noch aktuell und erfährt sie eine größer werdende Bedeutung. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen mir, wie viel es aufzuarbeiten gilt. Der Osten, das sind nicht nur Stasi und Rotkäppchensekt, nicht nur schwarz und weiß. Dazwischen gibt so viele individuelle Erfahrungen, die wahrgenommen werden wollen. Es gibt immer noch viele Fragen und Unklarheiten. Es gibt immer noch Dinge, die ich entdecke, Gefühle, die ich hinterfrage. Die DDR hat nicht nur das Leben der Menschen geprägt, die sie noch bewusst erlebt haben, sondern sie prägt auch die nachfolgenden Generationen…

 

Mehrere Ebenen, Ausschnitt, (c) hehocra

Mehrere Ebenen, Ausschnitt, (c) hehocra

 

Kennst Du das auch, dass es Dinge gibt, die Du einfach tun musst, weil irgend etwas in Dir sagt, dass Du sie tun musst? In den letzten Wochen hat sich mir sehr deutlich gezeigt, dass meine ostdeutsche Vergangenheit und deren Prägungen, die ich dadurch erfahren habe, einen wesentlichen Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit bilden. In Ansätzen haben ich schon Installationen und Storys in der Kombination von Texten, Fotografien und Erinnerungsstücken entwickelt, aber es geht weiter und es geht tiefer. Mit meinem Wissen heute und meinen Erfahrungen aus den letzten 27 Jahren betrachte ich meine Kindheit und Jugend aus einem gänzlich anderen Blickwinkel. Ich nehme wahr, wie Ost und West miteinander umgehen. Ich beobachte, welchen Einfluss die DDR heute noch hat… Immer wieder fragen, immer mehr erfahren. Viele meiner Erinnerungen wurden in den letzten siebenundzwanzig Jahren sozusagen durchgepustet. Das hat mir gezeigt, dass wir es selbst in der Hand haben, worauf wir unseren Blick richten, ob wir in der Vergangenheit verhaftet bleiben oder uns der Veränderung und dem Wachstum zuwenden…

 

Im Blick, Ausschnitt, (c) hehocra

Im Blick, Ausschnitt, (c) hehocra

 

Dies waren heute ein paar Gedanken und Zeilen von mir zu diesem Tag, dem 9. November, der für mich als ‚Tag des Mauerfalls‘ einen bedeutenden Teil meines Lebens und unserer Gesellschaft ausmacht. Gleichzeitig siehst Du hier ein paar Fotografien, die einen kleinen Einblick in aktuelle Arbeiten geben, sozusagen ‚work in progress‘ sind.

Ich wünsche Dir einen guten Tag mit Deinen Erinnerungen an diesen Tag.

Der Herbst in 11 Worten

Herbst

Blätter rascheln

im leichten Wind

fliegen in die Ferne

Kompost

Herbstblatt, (c) hehocra

Elfchen & Fotografie (c) hehocra

Elf Worte, das macht ein Elfchen aus. Diese Gedichtform besteht aus einem Wort in der ersten Zeile, zwei Wörtern in der zweiten, drei in der dritten, vier in der vierten und einem Wort in der letzten Zeile.

Lucia brachte mir Julie

Lucia brachte mir Julie

In meinem Monatsrückblick vom Oktober hatte ich Dir ja schon geschrieben, dass Lucia vom Blog Schreibtischwelten und ich uns jetzt auch real kennengelernt haben. Für mich ist es immer ein aufregender Moment. Man kennt sich und kennt sich doch nicht. Eine besondere Mischung ist das. Aber so hatten wir viele Anknüpfungspunkte und Themen, die uns schon vertraut waren, und die wir nun im persönlichen Gespräch gleich vertiefen und ausweiten konnten. Ich habe unseren gemütlichen Nachmittag in einem Café in Berlin Mitte an der Spree, an einem grau nassen Herbsttag sehr genossen.

Bloggerinnen

Lucia hatte darüber hinaus eine außergewöhnlich schöne Überraschung für mich mitgebracht: Eine Collage auf Holz. Dieser ganz besondere Mix, aus Holz, Farbe, Bildelementen und Worten, ist eine vielfältige Kombination, die ich an Lucias Arbeiten sehr schätze. Sie fügt alles gekonnt und stimmig zusammen, dass daraus neue Bildgeschichten entstehen.

 

Sternstunde mit Schleifen, Collage by Lucia, Schreibtischwelten

Sternstunde mit Schleifen, Collage by Lucia, Schreibtischwelten

 

Mit Lucias Zustimmung zeige ich Dir ihr Werk hier sehr gerne. Zudem lockte es mich herauszufinden, wer die junge Dame auf dem Bild ist. Den Namen konnte mir Lucia zum Glück sagen: Julie Gräfin Egloffstein. Dann ließ mich der Zusatz aufhorchen, dass es sich hierbei um ein Selbstporträt handelt. Wenn Dir der Name und das Gesicht genauso unbekannt sind wie mir, dann lies weiter. Ich habe mal hier und da im Netz nachgelesen:

Julie Gräfin Egloffstein (* 12. September 1792 in Erlangen; † 16. Januar 1869 in Marienrode) war Hofdame, Malerin und Zeichnerin… Julie Gräfin Egloffstein stammt aus dem fränkischen Adelsgeschlecht der von Egloffstein… Henriette Gräfin von Egloffstein {ihre Mutter; Anmerkung von mir} lernte schon 1795 Johann Wolfgang von Goethe kennen und zog mit ihren fünf Kindern 1799 nach Weimar, wo bereits ein Teil der Egloffsteinschen Großfamilie lebte und in herzoglichen Diensten stand… Ihre ältere Schwester Caroline (1789–1868) wurde Hofdame bei Erbherzogin Anna Amalia, sie Hofdame bei der Großherzogin Luise. In dieser Zeit verkehrten beide Töchter oft im Hause Goethes, der besonders Julie liebte und ihr Gedichte widmete…1826 malte sie Goethe nach mehreren Studiensitzungen in zwei großen Ölbildern. Bis 1829 malte sie Mitglieder der Herzogsfamilie in Weimar, den bayerischen König Ludwig I. und Königin Therese. 1829 reiste sie zu Studienzwecken nach Italien, wurde schnell Teil der deutschen Künstlerkolonie in Rom und zum Ehrenmitglied der römischen Accademia di S. Luca ernannt… In der Burg Egloffstein ist ihr zu Ehren ein Zimmer mit Staffelei und Zeichnungen eingerichtet… (Quelle: Wikipedia, 31.10.2016)

Das Selbstbildnis zeigt in seiner vollständigen Größe (Es handelt sich wohl um ein repräsentatives Ölporträt.) im Hintergrund die fränkische Landschaft mit der Burg Egloffstein. Dann habe ich noch folgendes herausgefunden: Aus dem Buch Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe geht hervor, dass Goethe die folgenden Zeilen der Gräfin widmete:

Derselben

Reisesegen

Sei die Zierde des Geschlechts! –
Blicke weder links noch rechts;

Schaue von den Gegenständen
In dein Innerstes zurück;
Sicher traue deinen Händen,
Eignes fördre, Freundes Glück.

Goethe

Das benannte Buch wurde herausgegeben und kommentiert von Erich Truntz, und ist als als einmalige Jubiläumsausgabe anlässlich des 175. Todestages im Verlag C.H.Beck 2006 erschienen.

Da habe ich doch wieder etwas gelernt. Ein herzliches Dankeschön an Lucia. Einen Besuch ihrer Website Schreibtischwelten kann ich nur empfehlen. Eine inspirierende, kreative Vielfalt. Auch ein Dankeschön auch an Dich, dass ich mit Dir mein neu erworbenes Wissen teilen konnte. In diesem Sinne: Bleib schön neugierig und hab eine schöne Sternstunde mit Schleifen! Viele Grüße, Doreen

 

Auf Bilder schießen

Heute wäre die Künstlerin Niki de Saint Phalle 86 Jahre alt geworden. Sie wurde am 29. Oktober 1930 unter dem Namen Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle in Neuilly-sur-Seine geboren. Ihren Geburtstag möchte ich zum Anlass nehmen, mich an einen berührenden Moment zu erinnern und Dir ein Buch vorzustellen.

Zu erst waren da die Nanas, die bunt bemalten Frauenfiguren, die ich kannte.

…Nanas sind Plastiken…, die mit der Bildersprache der Pop Art sinnliche, farbenfroh gestaltete voluminöse weibliche Körper mit überdimensionierten Geschlechtsmerkmalen darstellen… „Nana“ ist ein vieldeutiger Begriff aus dem Französischen für eine moderne, selbstbewusste, erotische und verruchte Frauengestalt. Mit dem Ausspruch „Alle Macht den Nanas!“ griff Niki de Saint Phalle Mitte der 1960er Jahre den Ideen der Frauenbewegung vor… Die Nanas stehen zunächst für Lebenskraft, Weiblichkeit, freie Gestaltung ohne Hemmungen und Konventionen, sie vereinigen alle Frauen in sich, sind eine umfassende Reflexion der weiblichen Existenz… {Wikipedia: Nana (Plastik)}

Später, als ich in einer Wut geprägten Phase war, machte mich eine Freundin auf die Schießbilder und auf das Leben der Künstlerin Niki de Saint Phalle aufmerksam.

…dies waren Gipsreliefs mit eingearbeiteten Farbbeuteln, auf die sie während der Vernissage schoss. Diese Bilder entstanden zeitlich gesehen vor den Nanas. Mit den Schießaktionen machte sich Niki de Saint Phalle als Künstlerin einen Namen. (Wikipedia: Niki de Saint Phalle)

Kurz darauf stand ich in London, in der TATE Modern unverhofft vor einem dieser Schießbilder, das mich sehr berührte: die Kraft, die Gewalt der Waffe, die Wucht der Kugeln, die Schönheit der Farblinien und -formen, die sich daraus ergeben haben.

Shooting Picture, 1961, Niki de Saint Phalle

Shooting Picture, 1961, Niki de Saint Phalle; London Tate Modern 2013

 

Kürzlich las ich diesen Biographie-Roman der großen Künstlerin Niki de Saint Phalle. Das Buch brachte mir ihren Weg, ihre Motivationen, überlieferten Gedanken und ihr künstlerisches Werk in Worten nahe. Eine beeindruckende Frau, eine großartige Künstlerin. Sie hat viel bewegt, angestoßen und uns Menschen geschenkt. Allem voran der Tarot-Garten in Italien, den ich leider bisher noch nicht gesehen habe. Warst Du schon einmal dort?

Shooting Picture, 1961, Niki de Saint Phalle

Niki de Saint Phalle. Ein starkes, verwundetes Herz. Romanbiografie, Stefanie Schröder, Herder Verlag, 2014

 

Die Zeit, um es sich mit einem Buch unter der Decke gemütlich zu machen, hat ja gerade erst begonnen. Also, mach es Dir gemütlich, vielleicht mit diesem Einblick in das Leben und Werk der großartigen Künstlerin Niki de Saint Phalle.

10 Kleider waren auf Reisen und veränderten sich

10 Kleider waren auf Reisen und veränderten sich

Du hast doch sicher auch in Deinem Schrank ein Kleidungsstück, das Du nicht mehr anziehst. Aber Du kannst Dich nicht von ihm trennen, weil damit besondere Erinnerungen verbunden sind. Zehn Künstlerinnen haben ein solches Kleid aus ihrem Schrank hervorgeholt und ein gemeinsames Projekt gestartet. Reihum wurden die Kleider monatlich verschickt. Jede Teilnehmerin widmete sich dem jeweiligen Kleid, fügte etwas hinzu, entfernte etwas, nähte, gestaltete.

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Ein Kleid ist mit Kindheitserinnerungen verbunden. Ein anderes hatte den Schmerz einer Trennung aufgenommen, die Wunden geheilt. Ein selbstgenähtes Kleid symbolisiert die über das Leben hinaus untrennbare Verbindung zweier Schwestern. Ein Unterhemd zeigte sich nach seiner Wandlung schon in Rom als Kleid und war bereit für eine weitere Metamorphose. „Tante Liesl“ verrät ihre Herkunft durch den Namen. Das Kleid war einst ein Geschenk von Tante Liesl aus Wien. Ein elegantes, cremeweißes Kleid lässt seine Erinnerungen als Hochzeitskleid nur vermuten. Niemand kennt sie. Dann ist da noch das Kleid, dass für eine Party genäht wurde, die schon mehrere Jahrzehnte zurückliegt, und nun seinen zweiten Auftritt feiert. Das Kleid gegenüber stand dagegen schon unzählige Male bei Fotoshootings und Theateraufführungen im Rampenlicht.

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An einem grauen Herbsttag im Oktober, in einem Berliner Hinterhof, in einem hell erleuchteten Atelier erstrahlten die Kleider nach mehrmonatigen Wandlungprozessen erstmals im neuen Glanz: „Ein Kleid geht auf Reisen“. Sie präsentieren sich mit unglaublich vielen schönen, zauberhaften, humorvollen und ungewöhnlichen Details.

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Die ebenfalls gezeigten bunten Pakete, begleitende Karten, Gedanken und Notizen aus dem Projekt geben einen kleinen Einblick hinter die Kulissen.

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Ich wünsche den Kleidern noch viele erfolgreiche Auftritte. Ich kann sie unbedingt empfehlen. Die Kleider regen in vielerlei Hinsicht zum Fühlen, Spüren, Erinnern und Verändern an. Da sind die Nähkünste und handwerklichen Techniken. Die Erinnerungen bringen uns dazu, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Arbeit mehrerer Künstlerinnen an einem Objekt brachten sicher auch Gefühle hervor, die nicht immer angenehm waren. Schlussendlich stehen die Kleider in ihrer Vielfalt für eine bereichernde und inspirierende Kreativität, die ich sehr schätze und ihren Anblick sehr genieße. (Unter uns: Auch Mütze hatte ihre Freude und einen heimlichen Favoriten unter den Kleidern.)

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10 Kleider, 10 Künstlerinnen: Sabine Blickenstorfer, Cäcilia Gernand, Conny Kolditz, Anna Rudi, Bianca Schamper, Patricia und Annick Schmidt, Ivo Schwarz, Susanne Suhr, Pia Wessels und Saskia Wunsch.

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Weitere Informationen, Fotografien und Links zu den einzelnen Künstlerinnen findest Du unter www.einkleidgehtaufreisen.de

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Wenn Du Interesse und die Möglichkeit hast, die Kleider auszustellen, oder einen Ort kennst, wo sie sich gut machen könnten, dann melde Dich einfach. Ich vermittle gern den Kontakt.

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ps: Ich habe die Tage auch mal in meinen Kleiderschrank geschaut und tatsächlich ein Kleid gefunden, dass ich demnächst für einen bestimmten Anlass verändern möchte. Ich hoffe, das klappt – vor allem zeitlich gesehen. Ich werde berichten.