Fern der Heimat. Wer bin ich, wenn ich die Sprache nicht spreche? Wer bin ich, wenn ich niemanden kenne? Wer bin ich in der Fremde? Wer bin ich ohne alles? Wer bin ich nur mit mir? Wer bin ich nur mit dem, was ich in mir trage?

Ich denke an meine Oma, ihre Schwester, ihre Mutter/ meine Uroma. 1945 kamen sie mit Nichts aus dem Sudetenland, sahen Dresden in Schutt und Asche, zogen weiter in den Norden… Wie es ihnen erging? Wie meine Oma sich als Teenager in dieser Zeit fühlte? Ich kann es kaum erahnen…

Ich denke an die Flüchtlingsströme 1989. Bilder, die ich in den Medien verfolgte. Ich erinnere mich an das Gerede der Leute, an Unsicherheiten, laut werdende Zweifel, kritische Fragen, Ängste…

Ich denke an die Bilder aus Flüchtlingslagern des Fotografen Sebastiao Salgado, aus der Dokumentation Das Salz der Erde von Wim Wenders. Und wieder stockt mir der Atem…

Und immer wieder die Frage, die Herausforderung: Was können wir tun? Was kann ich tun?: Mir immer wieder bewusst sein, wie kostbar unser Leben ist, das Leben eines jeden Einzelnen, wie wichtig wir füreinander und miteinander sind.

Diese Zeilen schrieb ich vor einigen Tagen in London. Mir ging die Blogparade von Anna Schmidt durch den Kopf: Schreiben gegen Rechts! Und da ist wieder eine Gelegenheit, etwas zu tun, einen Beitrag zu leisten, sich einzusetzen: Füreinander & Miteinander. Da sind andere, die ähnlich denken, empfinden, die gleichen Ängste haben, das gleiche wollen. Gerade in diesen Zeiten, in denen ich mir oft klein und hilflos vorkomme und ich mich nach dem Sinn frage, ist dies eine große Stütze und Motivation für mich, die Hoffnung nicht aufzugeben, die Hände nicht in den Schoß zu legen. Danke, Anna, und allen Beteiligten, allen Aktiven!

Doch möchte ich mit meinem Text nicht GEGEN schreiben. Ich bin nicht GEGEN. Ich bin für, FÜR VERÄNDERUNG. Eine Veränderung unserer Gesellschaft für mehr Menschlichkeit und Nächstenliebe, für Füreinander und Miteinander.

Dies ist eine enorme Hausforderung und ich weiß nicht, ob wir als Deutsche, als Europäer, als Bewohner dieses Planeten diese Herausforderung schaffen werden.

Meine Timeline spülte mir gestern wieder diesen Vortrag an meinen Strand, der in mir Spuren hinterlassen hat. Es ist eine tief gehende, anregende, differenzierte und ja, auch unbequeme Betrachtung des Psychoanalytikers und Autors Hans-Joachim Maaz: Die Gefahr der Spaltung des Landes – Psychodynamik von Protest und Gegenprotest (Aufzeichnung seines Vortrags in der Volkshochschule Leipzig)… Und wieder die Frage: Was können wir tun?

„…Ein junger Psychologe möchte zum Schluss wissen, was er denn selbst tun könne, um Veränderungen in Gang zu setzen. Und Maaz gibt ihm und der Zuhörerschaft noch einmal mit auf den Weg: „Fangen Sie bei sich selbst an. Und arbeiten Sie dafür, dass Sie gute Beziehungen haben. Mehr können Sie nicht tun – aber das ist schon viel.“…“ (Zitat aus „Eine subjektive Wahrheit„, Blog der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung)

Ich weiß, dass ich nicht alle Geschehnisse und Entwicklungen auf unserer Erde verstehe, dass ich mich überfordert fühle, dass ich mich ratlos und hilflos fühle, dass ich mich immer wieder nach dem Sinn frage, und nach dem, was ich tun kann.

Solche Auseinandersetzungen und Betrachtungen, beispielhafte Hilfsaktionen und das Engagement vieler Einzelner, die Auseinandersetzungen über die Blogparade von Anna… bestärken meinen Glauben an die Kraft meiner scheinbar kleinen Taten, die Kraft für die Beschäftigung mit meiner Familiengeschichte, die Kraft für die Herausforderungen in meinem Leben, die Kraft für meinen lernenden und wachsenden Weg, die Kraft für meinen kreativen Ausdruck, die Kraft für die Überwindung von Vorurteilen und Grenzen, die Kraft für Toleranz und gleichzeitig die Setzung von Grenzen, die Kraft für meine Verantwortung, die Kraft für eine differenzierte Betrachtung, die Kraft für eine Hilflosigkeit und Ratlosigkeit, die Kraft für Hoffnung und Aktivität, die Kraft für Menschlichkeit, die Kraft für Nächstenliebe, die Kraft für ein herzliches Füreinander & Miteinander.