Die Installation mit dem Titel „Schießen für den Frieden, Teil 1 und Teil 2“ habe ich bei 48-h-Neukölln 2017 erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert. Heute möchte ich sie Dir gern auch hier vorstellen. Der erste Teil der Installation zeigt meine Erinnerungen und meine heutige Sicht auf meine Erfahrungen als Kind in der DDR, auf die Militarisierung einer Gesellschaft von Kindesbeinen an. Der zweite Teil steht für die Veränderung im Umgang mit den Schatten der Vergangenheit.
Die Schwarz-weiß Fotografien der Installation, Teil 1 von Doreen Trittel zeigen ein Kind in den 80igern. Es sind private Fotografien, wie sie aus vielen Fotoalben sein können. Daneben prangen Kugelfangkästen aus Metall. Im Allgemeinen dienen sie beim Schießen als Halterung für Zielscheiben und als Auffangmöglichkeit für abgeschossene Kugeln. In diesen Kugelfangkästen sind originale Zielscheiben mit Einschusslöchern. Sie stammen von diesem Kind. Handgranaten- und Wurfgranatenweitwurf gehören als sportliche Disziplinen in den Schulunterricht. Manöverübungen fördern den Wettkampf und Zusammenhalt der Kinder: Im Ferienlager antreten, im Gleichschritt marschieren und singen, durch den Sand robben, über Sturmwände klettern und mit dem Luftgewehr schießen. Doreen Trittel ist in der DDR geboren. Sie wächst als Stasikind in einem System auf, das für sich die alleinige Wahrheit und das Recht in Anspruch nahm, und in dem der Kampf für Frieden und Sozialismus propagiert wird.
Über 25 Jahre sind seit dem Ende der DDR vergangen. Doch Doreen Trittel hat sich für die Auseinandersetzung und Veränderung entschieden. Im 2. Teil der Installation wendet sie sich den Zielscheiben zu und gestaltet sie mit kreativen Mitteln. Hierfür verwendet sie teilweise auch alten Materialien, wie hier aus dem Nähkasten der Oma. Dabei lässt sie die Schatten der Vergangenheit mitspielen, die dadurch eine neue Form des Ausdrucks und Wege der Wandlung erfahren. Gleichzeitig fließen aktuelle gesellschaftliche Strömungen mit ein. In der Ausstellung ist ein Teil aus diesem Werk zu sehen, das inzwischen mehrere Zielscheiben zählt und weiter wächst.
Diesen Text hast Du vielleicht hier in der Vorschau schon einmal gelesen. Heute gibt es ihn mit den Bildern der Installation hier im direkten Zusammenhang. Und noch ein paar Infos zum Entstehungsprozess: Die Kombination der Zielscheiben mit den Kinderfotos entstand Ende letzten Jahres. Für 48-h-Neukölln habe ich an der Präsentation gearbeitet und mir fielen die Kugelfangkästen ein. Bei meinen Recherchen stieß ich auf die neuen Zielscheiben, die ich dann begann, auf verschiedenen Wegen zu einzelnen dreier Serien zu bearbeiten. Für die Ausstellung wählte ich die obige Serie aus.
Viele, sehr interessante Gespräche habe ich führen dürfen, die mich unglaublich bereichert haben und für die ich sehr dankbar bin. Sie zeigen mir, dass dieses Thema die Menschen auf vielen Ebenen und über die Landesgrenzen hinaus beschäftigt und zum Nachdenken anregt. Dass ich dazu mit meinen Arbeiten einen Beitrag leisten kann, dass macht mich glücklich.
Auch wenn sich diese Arbeit aus der Vergangenheit heraus entstanden ist, wirft sie doch aktuelle Fragen auf: Wie ist unser Verhältnis zu Waffen? Sind wir bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen? Worauf zielen wir? Wie ist unser Umgang mit Waffen? Wann ist Schießen Sport? Wann wird es zum Mord? Ein Wettkampf? Welche Macht üben Waffen aus? In welch einer Gesellschaft leben wir heute? Wie sind unsere individuellen Erfahrungen im Umgang mit Waffen? Fühle ich mich sicherer, wenn ich eine Waffe besitze?… Schießen für den Frieden, eine Losung, die auch heute noch gerufen wird. Ein Paradoxon, wie ich finde.
Wie sind Deine Ansichten? Was lösen diese Arbeit und meine Worte dazu bei Dir aus?
ps: Im nächsten Beitrag werfen wir einen Blick auf die Arbeiten meiner Künstlerkolleg.innen.
Ich bin sehr froh deinen Blog gefunden zu haben.
Das freut mich. Herzlich Willkommen und viele Grüße aus Berlin, Doreen
Stark, wie du dich mit deiner Vergangenheit auseinandersetzt und die Erlebnisse transformierst ins Weiterleben. Sich den Schatten stellen hilft beim Heraustreten. Toll. Ich grabe gerade in meinen Erinnerungen. Auch ich bin ja DDR-sozialisiert aufgewachsen, als Tochter von Eltern, die 1957 von der Bundesrepublik in die DDR übersiedelten. Auch ich bin in der DDR 12 Jahre zur Schule gegangen. Aber wir hatten im Schulsport weder Handgranaten- noch Wurfgranatenweitwurf. (Immer wieder nehme ich wahr, wie schlecht sich auch das DDR-Schulleben einfach pauschal abhandeln lässt, es hing schon auch von der Atmosphäre und dem Kollegium der jeweiligen Schule ab, was sich dort ereignete, vielleicht hatte ich da einfach Glück…) Ein einziges Mal im Leben hatte ich ein Luftgewehr in der Hand, mit 12 Jahren im Ferienlager, und gewann… Wir brauchten dort auch nicht im Gleichschritt zu marschieren… Mein Vater, Pazifist durch und durch, war von meinen Schießübungen „not amused“… Allerdings waren die Umstände so, dass ich die unterschwellig möglicherweise gewollte Indoktrinierung überhaupt nicht wahrgenommen habe, für mich war es ein Spiel, ich habe gezielt und getroffen, sehr gut getroffen ;-)… Danke dir. Lieben Gruß Ghislana
Liebe Ghislana, herzlichen Dank für Deine Zeilen, Deine Erinnerungen. Das ist genau das, was ich möchte, die vielen unterschiedlichen Nuancen ins Licht rücken. Jede, jeder hat wirklich seine eigenen Erfahrungen gemacht. Von vielen, die jünger sind als ich, habe ich in Gesprächen erfahren, dass es den Handgranatenweitwurf bei ihnen nicht mehr gab. Andere aus meinem Jahrgang (1973) und älter berichten auch davon. Früher hat es mir auch großen Spaß gemacht. Als Kind habe ich das keinesfalls hinterfragt, auch lange Zeit als Erwachsene auch nicht. Aber irgendwann vielen mir diese Bilder dann auf, die mich zum Nachdenken und Hinterfragen brachten. Genauso sehe ich es auch, da fließen viele Faktoren rein. Neben der Familie und dem Schulischen Umfeld auch der Wohnort. Da gab es innerhalb Berlins schon große Unterschiede. Ganz lieben Dank für Deine mutmachenden Worte und dafür, dass Du Dich zum Erinnern hast anregen lassen. Ganz lieben Dank. Das bedeutet mir viel und erweitert meinen Horizont, regt mich zum Weiterdenken an. Liebe Grüße, Doreen
Liebe Doreen, mich berührt die Begegung, das Verweben (!) von alltäglicher Kindheitserinnerung & Miliitarisierung. Wie viel uns Dinge erzählen können. Und allein das Wort KUGELAUFFANGKASTEN. Eine leise, mutige & sehr eindrückliche Arbeit!
Vielen, lieben Dank, Ina. Ich wusste gar nicht mehr, wie diese Kästen heißen. Ich weiß nicht einmal, ob ich es jemals wusste 😉 Auf das Wort bin ich bei meinen Recherchen gestoßen. Aber es war für viele Besucher.innen erstaunlich, was das ist, welche Funktion sie haben und dass ich das weiß. Andere erkannten sie sofort und hatten eigene Erinnerungen, entweder aus Schießvereinen oder auch aus der eigenen ostdeutschen Sozialisation. Vielen Dank für Deine Worte 🙂 Liebe Grüße, Doreen
Liebe Doreen,
sehr eindrucksvolle Arbeiten.
Wie unterschiedlich doch unsere Sozialisierung erfolgt ist. Ich finde es mutig und grandios, wie du mit deiner Vergangenheit umgehst.
Ich freue mich auf unser Gespräch in gut zwei Wochen,
liebe Grüße von Susanne
Herzlichen Dank, liebe Susanne. Deine Worte bestärken mich. Bei den vielen Gemeinsamkeiten gibt es auch viele Unterschiede. Aber ich betrachte sie mal als vielfältigen Reichtum. Ich freue mich auf unser Treffen, unser Gespräch. Sonnige Grüße, Doreen