My story: 9. November 1989

Der 9. November 1989 in einer Installation/ Collage

Auf der Grundlage meiner persönlichen Erinnerungen habe ich folgende Installation erarbeitet, die für mich den 9. November 1989 bzw. die Tage und Wochen um diesen Wendepunkt darstellt. Sie beinhaltet Fotos, Zeichnungen, Kopien, Hausaufgabenheft aus dieser Zeit. Im Anschluss findest Du unten meine persönlichen Erinnerungen an den 9. bzw. 10. November 1989.

 

Gesamtansicht, Erinnerungsstücke, 9. November 1989

9. November 1989, Installation, 85 x 65 cm, 2013 (c) Doreen Trittel

 

Schulheft

9. November 1989, Detail, (c) Doreen Trittel

 

 

 

Collage mit Zeichnungen und Fotografien

9. November 1989, Detail, (c) Doreen Trittel

 

Meine persönlichen Erinnerungen an den 9./ 10. November

Am 10. November war‘s. 1989, an einem Freitag. Am frühen Morgen kurz vor sieben Uhr traf ich mich mit meinen vier Schulfreundinnen wie jeden Dienstag und Freitag an der gleichen Straßen Ecke in unserem Kiez, in Berlin-Friedrichshain. Wir hatten in der nullten Stunde Französisch in einer anderen Schule. Französischlehrer waren knapp, so dass nicht jede Schule diesen Unterricht anbieten konnte.

So nach und nach kamen meine Schulfreundinnen und ich an unserem Treffpunkt zusammen. Eine Freundin kam aufgeregt und sagte: „Die Mauer ist gefallen.“ Am Abend zuvor, am 09. November 1989 wurden die Grenzen nach Westdeutschland geöffnet. Erst an diesem Morgen erfuhr ich davon. Ob ich in dem Moment, als ich diesen Satz vernommen hatte, aber nicht gleich glauben konnte, überhaupt ansatzweise ahnte, dass sich alles verändern würde, alles hinterfragt werden müsse?

Die Lehrerin erzählte ganz aufgeregt von ihrem nächtlichen Spaziergang über den Ku`damm. Ich hatte das Bild vor Augen. Sie mit ihrem Mann, bei ihm untergehakt schlendernd über eine breite Straße, die mit vielen Bäumen und einigen Straßenlaternen gesäumt ist – ähnlich der Straße Unter den Linden. Was ich noch nicht sah, waren die vielen Lichter der Leuchtreklamen, Geschäfte und Autos, die vielen Menschen, das emsige Treiben der Bewohner und der Besucher.

 

Fern liegt dieser Moment. Vergangen in meinen Erinnerungen. Ein Moment unter vielen. Ein Moment, dem eine Zeit des Umbruchs folgte. Eine Zeit der Veränderungen. Heute würde ich sagen, in diesem Moment, endete meine Kindheit. Ich war gerade sechzehn Jahre alt geworden.

 

Fundstücke II: 25 Jahre danach

Wie schon angekündigt, sind mir weitere interessante Rückblicke auf die Ereignisse von 1989 über den Weg gelaufen, die ich Euch nicht vorenthalten möchte:

Wende Gelände ist eine fotografische Serie mit Aufnahmen von verschwunden Orten einer Kindheit. Erinnerungen der Fotografin Sarah Schönfeld.

* Vor fünf Jahren, zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, hat das Deutsche Tagebucharchiv ein Heft mit Tagebuchausschnitten zur Erinnerung an eine Welt, die es nicht mehr gibt herausgebracht. Dieses ist mir gerade wieder in die Hände gekommen und in diesen Tagen wieder aktuell, deshalb erwähne ich es an dieser Stelle einfach mal. (Es lohnt sich sowieso, auf den Seiten des Tagebucharchivs zu stöbern; eine interessante und wichtige Einrichtung. Es gibt zum Beispiel auch ein Heft mit Tagebucheinträgen zum 9. November, die nichts mit dem Mauerfall 1989 zu tun haben, sondern weiter zurück liegen.)

* Eine sehr persönliche, humorvolle und nachdenkliche Sicht zeigt eine Dokumentation mit Erinnerungen des Schauspielers Jan Josef Liefers.

* „Wir reflektieren die Vergangenheit, um daraus zu lernen und gemeinsam Gegenwart und Zukunft mitzugestalten.“ – Ein interessantes Interview mit zwei engagierten Wendekindern der Dritten Generation Ost.

* Auf Twitter gibt es auch unter folgenden Hashtags Informationen und Hinweise: #ddr und #wende89.

* Wie sehr sich Berlin verändert hat, zeigt diese großartige Gegenüberstellung von Fotografien gestern und heute. (Man kann sogar in den Fotos schieben, so dass sich der frühere bzw. der heutige Blick komplett öffnet.)

* Die Dokumentation „Zonenmädchen“ hat mich sehr berührt. Ich habe ihn auf Arte in der Mediathek gesehen. Sabine Michel und ihre Freundinnen waren beim Mauerfall 18 Jahre alt. Sie blicken – sehr persönlich – gemeinsam zurück und fragen sich, wie viel Zone noch in ihnen steckt. (Leider steht er dort nicht mehr zur Verfügung, aber man kann den Film erwerben. Hier bei YouTube gibt es einen Trailer.)

Dies ist nur eine kleine subjektive Auswahl meinerseits. Die Berichte und Veranstaltungen überschlagen sich ja gerade, jetzt, wo der Jahrestag am 9. November kurz bevorsteht.

Fundstücke I: 25 Jahre danach

Es gibt ja gerade zahlreiche Rückblicke auf die Ereignisse von 1989. Auf folgende möchte ich Euch gern aufmerksam machen:

Anke Domscheit Berg veröffentlicht in mehreren Teilen ihre Tagebücher und andere Dokumente aus den Tagen um dem Mauerfall 1989.

* Arte zeigt in einem Programmschwerpunkt interessante, vielschichtige Dokumentationen und Filme.

* Die Zeit stellt zahlreiche Statistiken in ihrem Artikel Das geteilte Land dar. Aber daneben finde ich das gezeigte Video sehr interessant. Es stellt Fotografien von damals mit heutigen Bildern einzelner Plätze gegenüber.

* Eine Ausstellung in Magdeburg gewährt mit Fotografien private Einblicke in die Kunstszene der DDR. (Ich selbst kann diese Ausstellung leider nicht besuchen, aber habe sie von einem für mich besonderen Menschen empfohlen bekommen.)

* Erzählcafé in Berlin Pankow: Frauen mit DDR-Wurzeln erzählen ihre Geschichte. (Hiervon habe ich bereits einen Abend besucht und hier berichtet.)

* Auf Twitter gibt es unter den Hashtags #de25 und #Mauerfall weitere Informationen und Hinweise.

 

Mir wird in den nächsten Tagen und Wochen sicher noch mehr über den Weg laufen…

Habt Ihr noch spannende und zum Nachdenken anregende Empfehlungen?

 

 

Auch 25 Jahre später: Ich bin Ostdeutsche.

Das Zeit Magazin widmet sich jetzt in einer Reihe mit dem Titel „Die ersten 25 Jahre“ den letzten 25 Jahren nach dem Fall der Mauer und der gesamtdeutschen Wiedervereinigung. Den Auftakt machen eine Reihe von interessanten Texten von sehr jungen Ostdeutschen bzw. im Osten nach dem Mauerfall Geborenen: „Tut doch nicht so, als sei alles in OrdnungOstdeutsche gibt es nicht mehr, heißt es, die Jungen seien längst gesamtdeutsch. Wirklich? Neun Ostdeutsche schreiben über eine Herkunft mit Hindernissen.“

Meine ostdeutsche Vergangenheit ist für mich ein Thema, mit dem ich mich immer wieder auseinandersetzte. Ich war Teenager, als die Mauer fiel. Bei meinen Kindheitserinnerungen, die eben eng mit der DDR verbunden sind, geht es für mich vor allem um meine eigene Identität und meine Wurzeln. Wo komme ich her? Was hat mich wie geprägt? Welche Rolle spielt meine Kindheit in diesem Land, was es nicht mehr gibt, in meinem Leben heute? Und wann erlebt man das schon mal? Ein Land, das so plötzlich verschwindet? Mit diesen und anderen Fragen setzte ich mich nicht nur in Texten sondern vor allem in meiner Kunst auseinander.

 

Wende, Fotocollage, Detail, 2016 (c) Doreen Trittel

Wende, Fotocollage, Detail, 2016 (c) Doreen Trittel

 

Interessant ist auch, dass das Ost-West-Thema für mich erst zum Thema geworden ist, als ich nicht mehr in Berlin war. Das fing mit einem längeren Aufenthalt in Luxemburg Ende der Neunziger an und setzte sich mit meinem Umzug nach Saarbrücken und einem mehrwöchigen Aufenthalt in Brüssel vor zehn Jahren fort. Denn irgendwann kam ich immer an den Punkt, wo ich merkte, ich bin anders, ich habe andere Erinnerungen und Erlebnisse, die ich dort mit niemandem teilen konnte. Ich war die Exotin. Ich lebe schon wieder viele Jahre in Berlin (im Westteil), aber das Ost-West-Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Ich tue mich immer schwer damit, mich in Veröffentlichungen zum Thema wieder zu finden? Das ist dann eine Frage der persönlichen und individuellen Erinnerungen und Sichtweisen. Mit den viel in schwarz-weiß dargestellten Berichten kann ich selbst nichts anfangen. Mich interessiert das Graue dazwischen, das Graue, was ich selbst auch erlebt habe.

Und dann stelle ich mir auch die Frage, wie ich meiner Tochter eines Tages berichten werde, wie das so war in der DDR. Was wird sie fragen? Wie wirkt meine Vergangenheit und die meiner Eltern und Großeltern in ihr fort, wenn sie über zwanzig Jahre danach mit Pittiplatsch, dem Traumzauberbaum und den Kinderliedern von Gerhard Schöne aufwächst?

Wie ich auch schon in meinem Bericht zu einer Veranstaltung Ostdeutsche Frauen werden sichtbar, die ich besuchte, feststellte: Das Thema ist immer noch aktuell. Es beschäftigt , die Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, nach wie vor. Und ich finde es großartig, wenn individuelle Erfahrungen Raum bekommen, wenn wir dadurch die Schubladen auflösen und uns für eine Welt fern der Klischees öffnen können, wenn auch diese Erfahrungen das künftige Geschichtsbild prägen. Und dazu gehören auch die jetzt ganz jungen Stimmen. Denn sie sind der Beweis dafür, dass die unterschiedlichen Vergangenheiten in den Familien, in den beiden deutschen Gesellschaften auch in der Generation der kurz vor oder kurz nach dem Mauerfall Geborenen prägt. Und letztendlich ist es gesamtgesellschaftlich eine Frage der Integration. Denn ich fühle mich als Gesamtdeutsche mit sozialistischem Migrationshintergrund. (Diese für mich sehr treffende Beschreibung fand ich vor vielen Jahren in diesem Spiegel-Artikel.) #de25

Durch’s Leben surfen | Gedicht

das Leben
spannend, nicht einfach
im Wind surfen
auf den Wellen
aufrecht halten
Konzentration
Freude, Spaß
glücklich dabei

Pause
glatt das Meer
ohne Wind
Kraft schöpfen
angenehm
auf dem Wasser liegen
treiben ohne Langweile
kurzzeitig
Pause

das Leben
wunderbar, voller Genuss
her mit dem Wind
her mit den Wellen
das Brett packen
hinein ins nass
Augenblick
im Sonnenschein

lasst uns
durch das Leben surfen

(c) Doreen Trittel

Zufrieden??? | Tagebuchnotizen

Warum kann ich nicht einfach leben, genießen und zufrieden sein? Zuweilen funktioniert es und ich bin glücklich. Doch dann gibt es Momente, da überfallen mich Gefühle von Rastlosigkeit, weit gefächertem Ehrgeiz und zahlreichen Ideen. Diese stoßen schon in Gedanken an ihre Grenzen der Zeit und des Alltags, was mich dann traurig werden lässt.

aus meinem Tagebuch, 2001

… Dort bin ich mit einer Frau ins Gespräch gekommen, wo ich dann sagte: “…Manchmal beneide ich die Menschen, die mit dem, was sie haben zufrieden sind.” Sie entgegnete: “Ich nicht. Denn diese Leute entwickeln sich nicht weiter.” Ein sehr interessanter Gedanke, der mir bis dato so nicht gekommen ist. Warum eigentlich nicht? Und heute früh im Auto hatte ich den Gedanken, dass es ja eigentlich ein sehr positives Zeichen ist, wenn man das Gefühl hat, dass die Zeit nur so dahin fließt. Denn dies ist die Gewissheit, dass man aktiv ist, dass man lebt, das Leben nutzt. Carpe diem. Also sind das Gefühl, nicht genug zu machen, der Druck, der mich dadurch immer wieder einholt, garnicht negativ zu deuten. Ich lebe.

aus meinem Tagebuch, 2001

Ich bin gern zufrieden und habe mir auch schon öfter gewünscht, vollkommen zufrieden zu sein. Denn ich verbinde damit Glück und Genuß im und am Leben. Aber ich würde mich auf eine Diskussion einlassen… Ja, Unzufriedenheit treibt einen voran, lässt einen nicht stehen bleiben – zumindest nicht diejenigen, die nicht dem Jammern, Klagen und Schimpfen vollends verfallen sind. Doch wäre es nicht schön, voll und ganz zufrieden zu sein, um dann das Leben ohne einen bitteren Beigeschmack genießen zu können? Aber das ist wohl der Lauf der Zeit. Ich muss vollen Genuß wieder lernen…, weil ich schon vorher von dem Gedanken beeinflusst bin, dass die Zeit schnell vorüberziehen wird und ich danach wieder traurig bin… Vielleicht gibt sich das auch mit der Zeit… Wir rauschen an Landschaften vorüber und ich verfalle dem Grübeln, dem Nachdenken über mein Leben. Doch warum lebe ich es nicht einfach? Ich muss es tun, sonst bin ich nicht glücklich.

aus meinem Tagebuch, 2004