Es ist später Nachmittag, Ende November. Meine Bekannte und ich schlendern durch die dunklen Straßen in unserem Kiez, Berlin Charlottenburg. Der Advent blickt schon durch die Tür. Jede hat ihren Kaffeebecher in der Hand und trinkt zwischen unseren Worten einen Schluck. Wir sprechen über Kunst, Schreiben und den Mut, den es dafür braucht. Zwischendrin bleiben wir fasziniert von den farbig leuchtenden Bildern stehen und wagen einen Blick in die hell erleuchteten Galerien. Und wieder fällt mir auf, dass wir mehr Kunstwerke von Künstlern anstatt von Künstlerinnen sehen.

 

Künstlerinnen & Künstler im Ungleichgewicht

Die Werke von Künstlern bilden so oft noch die Mehrheit. Es ist ein vertrautes Bild. Aber mehr und mehr ärgert mich dieses Ungleichgewicht. Haben wir es immer noch nicht gelernt? Studien der letzten Jahrzehnte haben immer wieder deutlich gemacht, wie unterrepräsentiert Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt sind. Das zieht Benachteiligungen in der Sichtbarkeit, Bekanntheit und vor allem in der Bezahlung nach sich. (Empfehlenswertes Video der ARD: „Warum sind Kunstwerke von Frauen weniger wert?„, Juni 2020)

Auch wenn wir in die Kunstgeschichte schauen, so fallen uns, wenn wir mal ehrlich sind, immer wieder die gleichen Künstlerinnen ein, zum Beispiel Frida Kahlo, Paula Modersohn-Becker, Camille Claudel oder Hannah Höch. Hilma af Klimt ist aktuell das wohl bekannteste Beispiel dafür, wie sehr unser kunstgeschichtliches Wissen männlich geprägt ist. Die Künstlerin „…gilt gleichermaßen als Pionierin der abstrakten wie der mystischen Kunst…“ (Wikipedia, Dez.2020) Denn Hilma af Klimt begann, 1906 abstrakt zu malen, wie die Biografin Julia Voss in ihrem Buch „Hilma af Klint – ‚Die Menschheit in Erstaunen versetzen‘“ (S. Fischer, 2020) schreibt. Und damit malte sie bereits 5 (!) Jahre vor Kandinsky, der bisher als der erste abstrakt malende Künstler galt.

 

 

 

Aber es tut sich was

Das Thema der Ungleichbehandlung und des Ungleichgewichtes wird auch in Bezug auf die Kunstgeschichte wird in Kunstzeitschriften und anderen Magazinen, sowohl online als auch offline, sowie in Dokumentationen besprochen. Mehr und mehr Bücher, die sich auf Künstlerinnen konzentrieren, stehen in den Regalen. Aber ja, es gibt noch viel Luft nach oben. Machen wir weiter. Ein Beitrag von mir ist heute dieser Text mit dem Hashtag #femaleheritage.  Die Münchner Stadtbibliothek/Monacensia hat in Kooperation mit Dr. Tanja Praske von KULTUR – MUSEUM – TALK in einer Blogparade dazu aufgerufen, sich mit Blogbeiträgen zu der Überschrift „Frauen und Erinnerungskultur | #femaleheritage“ zu beteiligen: 

„…#femaleheritage steht für eine übergreifende Beschäftigung mit Kultur. Diese gesteht weiblich geprägten Perspektiven, Texten und Themen künftig eine ebenso wesentliche gesellschaftliche Bedeutung zu wie männlichen Sichtweisen und Lebenswirklichkeiten. Zugleich räumt sie dem weiblichen Vermächtnis entsprechenden Platz in der Erinnerungskultur ein. Mit #femaleheritage wollen wir Euch einladen, mit uns neues Wissen zu schaffen und vielleicht sogar unbekannte Persönlichkeiten, Texte, Werke und neue Verbindungen zu entdecken!…“ (aus dem Aufruf zur Blogparade)

 

Doch es gibt noch viel zu tun

Wie gehe ich dieses Thema an? Welche Künstlerin hebe ich hervor? Woran messe ich ob eine Künstlerin nicht schon bekannt ist oder noch nicht? Wenn mir ein Name etwas sagt, dass muss ja für andere noch lange nicht gelten. Aber wenn ich eine Künstlerin hervorhebe, die vielen doch schon ein Begriff ist? Schaue ich auf lebende oder schon verstorbene Künstlerinnen?… Fragen über Fragen. Zweifel über Zweifel. Gedanken über Gedanken. Recherchen über Recherchen.

Lange habe ich nun überlegt und das Thema mit mir herumgetragen. Ich selbst bin eine bildende Künstlerin. Daher liegt es nahe, dass ich auf diesen Bereich schaue. Und ausgehend von der bereits angesprochenen aktuellen Situation von Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt wage ich einen Blick zurück in die letzten Jahrzehnte. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit meiner ostdeutschen Prägung gehe ich insbesondere auf Künstlerinnen der DDR ein. Auch wenn die DDR schon über 30 Jahre der Vergangenheit angehört, so ist es doch eine aktuelle Aufgabe, die Erinnerung an Künstlerinnen der DDR zu wahren und darauf zu achten, dass ihr bedeutendes Werk nicht hinter der Sichtbarkeit ihrer Kollegen verschwindet. Denn auch hier nehme ich wahr, dass DDR-Künstler mehr vertreten und repräsentiert sind als ihre Kolleginnen. Auch wenn es wie ein Stempel wirkt, wenn ich von Künstlerinnen aus der DDR oder von ostdeutschen Künstlerinnen schreibe. Aber wir brauchen diese Kategorisierung an dieser Stelle. Denn wie oft wird über diese Künstlerinnen hinweg geschaut, werden sie nicht oder kaum wahrgenommen, sind sie in den letzten Jahrzehnten nur wenig und vor allem nicht in der Breite sichtbar. In meinem Text hier werde ich einige wenige Namen von Künstlerinnen nennen. Diese Auswahl ist rein subjektiv und sehr reduziert. Denn ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet. Aber ich bin eine interessierte Künstlerin, die ihre ostdeutschen Wurzeln in ihren Werken rückblickend verarbeitet und dabei auch immer wieder auf die Sichtweisen und Interpretationen in den Werken anderer Künstler:innen schaut.

 

Begegnungen & Wahrnehmungen zur Kunst von Künstlerinnen aus der DDR

Die Kunstwelt der DDR erschließt sich mir erst in der Retrospektive. Als Kind und Schülerin habe ich nur wage Erinnerungen an den Kunstunterricht. In meinem Umfeld spielte die Kunst der Gegenwart kaum eine Rolle. Darüber hinaus war auch nur Kunst präsent, die das System nicht hinterfragte oder dem widersprach. 

 

Buch: Sybille. Dorothea Melis (Hrg.), Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin, 1989, ISBN 3-89602-164-8 (Das Foto auf dem Cover zeigt Katharina Thalbach, fotografiert von Sibylle Bergemann.)

 

Fotografinnen und Schriftstellerinnen

Mit etwa 14 Jahren begann ich mich für Mode zu interessieren. Die Klamotten, die es damals zu kaufen gab, entsprachen nicht dem coolen Schönheitsideal der damaligen Zeit bzw. waren schwer zu bekommen. Daher begann ich – wie viele andere auch – meine Sachen selbst zu nähen. Anregungen holte ich mir aus den Modezeitschriften – unter anderem die „Sybille“ – „‚Zeitschrift für Mode und Kultur‘,… eine Frauenzeitschrift in der DDR, herausgegeben vom Modeinstitut Berlin. (Wikipedia, 2020) Dort begegneten mir damals schon unter anderem die Fotografien von Sibylle Bergemann, Ute Mahler, Elisabeth Meinke die neben den Fotografien der männlichen Kollegen schon immer mehr waren als „nur“ Modefotos. Das zeigte auch die Ausstellung „Sibylle. 1956-1995“, die an verschiedenen Orten gezeigt wurde. 2017 wurde der gleichnamige Katalog veröffentlicht. 

In den 90ern hörte ich auf, mir meine Kleidung selbst zu nähen. Das Schreiben und Fotografieren weckte mein Interesse. So entdeckte ich weitere Fotografinnen – zum Beispiel Angela Fensch, Gundula Schulze Eldowy, Helga Paris – und vor allem auch die bekannten Autorinnen der DDR, Christa Wolf, Maxie Wander, Brigitte Reimann. Doch hier gibt es auch viele Autorinnen, die heute kaum bekannt sind, wie Ines Geipel in der Frankfurter Allgemeinen schreibt: „…sind das mehr als hundert Autorinnen und Autoren, die zwischen 1945 und 1989 in Ostdeutschland ins Aus gesetzt, verfolgt und verfemt wurden. Dass sie verschwanden, ehe sie überhaupt wirklich da waren, gehörte zum Kalkül. Wie schwer es noch heute fällt, dieses durchcodierte Sperrland ausdifferenziert zu durchforsten…Es liegt alles parat, und es gibt viel zu entdecken…“ („Wie DDR-Schriftstellerinnen kämpften„, aktualisiert 2020. Ines Geipel gründete laut Wikipedia zusammen mit Joachim Waltherdas Archiv der unterdrückten Literatur der DDR.)

Meine Begeisterung für die Bildende Kunst kam erst später auf, so dass ich an dieser Stelle ins Jahr 2018 springe und meine zeitliche Chronologie hier schon wieder verlasse. 

Während ich bei meinem Besuch 2018 in der Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ im Museum Barberini Potsdam noch über die vielen mir unbekannten Namen und Kunstwerke staunte, fiel mir das Ungleichgewicht von Künstlerinnen und Künstler 2019 in der Ausstellung „Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutsche Kunst“ im Museum der bildenden Künste Leipzig schon deutlich ins Auge. 

 

„Frau in Uniformkleid“ von Annette Schröter in der Ausstellung „Point of No Return“, 2019 im MdBK Leipzig, (Foto: Doreen Trittel)

 

Annette Schröter

Bei der Vielzahl an gezeigten Arbeiten in Leipzig hat mich ein Bild der Künstlerin Annette Schröter in Bezug auf eines meiner eigenen Werke sehr berührt. Es geht um ihr Bild „Frau in Uniformkleid“, was zur Staatlichen Kunstsammlung Dresden gehört. Das Gemälde von 1983 setzt sich mit der Militarisierung einer Gesellschaft auseinander.

Zu dieser Zeit bin ich 10 Jahre alt. Der Wehrunterricht war als Teil der Wehrerziehung in der DDR zwischen 1978 und 1989 ein obligatorisches Unterrichtsfach für alle Schüler der 9. und 10. Klassen… Die Teilnahme am Wehrunterricht in der Schule war im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht für alle Schüler verbindlich….“ (Wikipedia, Dez.2020) 1982 wurde ein neues Wehrpflichtgesetz verabschiedet, das die allgemeine Wehrpflicht im Verteidigungsfall auch für Frauen festlegte. Jahrzehnte später, 2017 als es die DDR schon lange nicht mehr gab, und ich das Bild noch lange nicht kenne, beschäftige ich mich in meiner Installation/ Serie „Schießen für den Frieden“ ebenfalls mit der Militarisierung einer ganzen Gesellschaft von Kindesbeinen an. Denn davon bin ich geprägt. So stand ich vor dem 150 x 90 cm großen Ölgemälde von Annette Schröter und war tief berührt von ihrer Umsetzung und Auseinandersetzung.

Annette Schröter (* 23. April 1956 in Meißen) ist eine deutsche Malerin und Papierschnitt-Künstlerin. Annette Schröter studierte von 1977 bis 1982 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig… 1985 siedelte sie nach Hamburg…“ (Wikipedia, Dez. 2020) Heute lebt sie in Leipzig und arbeitet mit der Form des Scherenschnitts und stellt faszinierende, gegenwartsbezogene Kunstwerke aus Papier her, die zu einem zweiten Blick herausfordern: Annette Schröter – Kunst aus Papier. 

 

Doreen Trittel vor den Bildern der Künstlerin Uta Hünnig (Foto: priv.)

 

Uta Hünniger

Auch die Arbeiten der Künstlerin Uta Hünniger haben mich in der Ausstellung „Point of No Return“ sehr fasziniert. Wenn ich mich recht erinnere, bin ich auf die Malerin und Grafikerin über ihren Instagram-Kanal aufmerksam geworden. Aber genau weiß ich das nicht mehr. Uta Hünniger ist 1954 in Weimar geboren, studierte 1977-1982 an der Kunsthochschule Berlin Weißensee und arbeitete 1982 als freiberufliche Künstlerin in Ost-Berlin – unter anderem mit dem Namen Viola Blum – bis sie 1988 nach West-Berlin übersiedelte. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in Erfurt.

 

Blick in die Ausstellung von Cornelia Schleime: Malerei und Zeichnungen; by hehocra

Blick in die Ausstellung von Cornelia Schleime: Malerei und Zeichnungen (Fotos: Doreen Trittel)

Cornelia Schleime

Die Ausstellung „Ein Wimpernschlag“ von Cornelia Schleime, 2016 in der Berlinischen Galerie hat mich sehr beeindruckt – ebenfalls die Vielfalt der Ausdrucksweisen und die Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen mit der Staatssicherheit. Hierüber hatte ich in einem Blogbeitrag mit dem Titel “Selten hat mich ein Bild so berührt“ geschrieben. Cornelia Schleime, die 1953 in Ost-Berlin geboren ist und 1984 nach West-Berlin übersiedelte, hatte vor vier Jahren mit dieser Ausstellung den Hannah-Höch-Preis 2016 für ihr Lebenswerk bekommen.

 

Gabriele Stötzer

Die Kunst von Gabriele Stötzer und ihr politisches Engagement begegnen mir immer wieder in verschiedenen Dokumentationen. Und jedes Mal staune ich über ihre künstlerische Vielfalt und ihren Umgang mit der eigenen Inhaftierung im Frauengefängnis Hoheneck. Dort „…fasste sie den Entschluss, zu schreiben. Nach ihrer Entlassung lehnte sie die Ausreise in den Westen ab…“ (Wikipedia, Dez.2020)

Verena Kyselka

2019 beeindruckte mich die Video Installation „Heavy History“ von Verena Kyselka in der Ausstellung Ping Pong Peng gemeinsam mit der Künstlerin Katja Fouquet in der Kommunalen Galerie Berlin. Erst der Biografie konnte ich entnehmen, dass die Künstlerin Verena Kyselka in den 80er Jahren als freiberufliche Künstlerin in der DDR arbeitete. Die Performance, in der sie verteilt auf mehreren Säckchen 100 kg Sand mit sich trug und damit die Last ihrer (Familien-) Geschichte darstellte, hat mich unglaublich berührt, weil ich dies so gut nachempfinden konnte.

 

Doreen Trittel in der interaktiven Installation von Katia Fouquet, in der Ausstellung „Pong Pong Peng“ mit Verena Kyselka (Foto: Sabine Küster)

 

 

Mit diesem kurzen und auch oberflächlichen Exkurs möchte ich den Blick auf die ostdeutsche Kunst und vor allem den Blick auf die Kunst von Künstlerinnen der DDR, ostdeutsche Künstlerinnen öffnen und vor allem für einen gleichberechtigten Umgang im Zuger der Erinnerung an diesen jüngeren Teil der deutschen Kunstgeschichte sensibilisieren.

In der Kategorie Bildender Künstler (DDR) der deutschsprachigen Wikipedia sind zum einen noch längst nicht alle Künstler:innen aufgeführt und zum anderen Künstlerinnen in der Minderheit. Ähnlich verhält es sich im Bildatlas Kunst in der DDR, einer von 2009 bis 2012 im Rahmen eines geförderten Forschungsprojekts erstellten Online-Datenbank mit Malerei aus den Jahren 1945 bis 1990 im Osten Deutschlands. Doch auch und gerade die Sicht von Frauen, die kreative Auseinandersetzungen von Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Fotografinnen, Filmemacherinnen, Musikerinnen, Tänzerinnen…, kurz allen kreativ schaffenden Frauen der DDR, sind für die Entwicklung unserer Gesellschaft und für die Gestaltung unserer Zukunft von enormer Bedeutung. Können wir von ihnen unglaublich viel lernen und erfahren. Denn durch meine eigene Beschäftigung mit gesellschaftlichen – ostdeutschen – und familiären Prägungen stelle ich immer wieder fest, wie sehr auch diese Zeit heute noch wirkt und welche Parallelen zur Gegenwart sichtbar werden.

An dieser Stelle schließe ich mich der Intention von Beatrice E. Stammer an, die sie mit der Ausstellung „und jetzt. Künstlerinnen aus der DDR“ (2009 im Künstlerhaus Bethanien, Berlin) und der gleichnamigen Buchveröffentlichung verband:

„Die Künstlerinnen dürfen nicht in den Schubladen des Vergessens verschwinden.“

 

 

#femaleheritage

Vielen Dank an die Münchner Stadtbibliothek/Monacensia und an Dr. Tanja Praske von KULTUR – MUSEUM – TALK für die Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur | #femaleheritage„. Es sind bereits zahlreiche, vielfältige und sehr bereichernde und interessante Blogbeiträge aus sehr verschiedenen Blickwinkeln zusammengekommen. Die Blogparade läuft zwar nur noch bis zum 9. Dezember 2020. Doch das Thema wird auch darüber hinaus nicht an Bedeutung verlieren, im Gegenteil es liegt nach wie vor in unser aller Verantwortung, „…Frauen in der Erinnerungskultur präsenter (zu) machen und das Bewusstsein für ihr Werk und ihr Wirken (zu) stärken. Rückt ihre Leistungen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft in den Fokus, löst Euch dabei von den gängigen, binären und polarisierenden Weiblichkeits- und Männlichkeitsklischees….“ (aus dem Aufruf zur Blogparade).