von hehocra | Juli 17, 2018 | 30 Jahre... - Kunst & mehr, Blogaktionen, Fotografien, Ostdeutsches |
„Europa und das Meer – Was bedeutet mir das Meer?“ So lautet das Thema der Blogparade des Deutschen Historischen Museums im Zuge seiner Ausstellung „Europa und das Meer“ in Berlin #dhmmeer Die Blogparade wird von Dr. Tanja Praske unterstützt. Sie sammelt und verlinkt alle Beiträge und hat auch Tipps zur Teilnahme an einer Blogparade. Es sind bereits viele interessante, spannende und vor allem vielfältige Artikel zusammengekommen.

Boot am Strand, Ostsee, Rügen, sw analog, (c) Doreen Trittel
Aktuell denken wir, wenn wir nach dem Meer gefragt werden, an die schreckliche Lage im Mittelmeer. Dies spielt auch in einigen Beiträgen eine Rolle. Danke dafür. Mich machen die Nachrichten sprachlos. Ich finde keine Worte und verzweifle an unserem menschenverachtenden Umgang…
In diesen ausweglosen Situationen hilft es mir, mich auf meine Möglichkeiten hier und jetzt zu besinnen. Mein Motto, einst angeregt durch einen Vortrag des Psychiaters, Psychoanalytikers und Autors Hans-Joachim Maaz im Zuge der Pegida-Bewegungen: Veränderung beginnt bei uns selbst und in unseren Beziehungen. Dies führt mich wieder zu meinem Thema, zu meinen Erlebnissen und Sichtweisen… So vieles können wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen. Viele Erfahrungen wurden schon gemacht…

Kind beim Spiel in der Ostsee, (c) Doreen Trittel, Privatarchiv (ps: das bin ich)
Dann fiel mir ein kleiner Text ein, den ich vor einigen Jahren geschrieben hatte, und der dann in einer meiner Schubladen verschwand. Heute habe ich ihn wieder hervorgeholt. Es ging um die Frage, wie ich die Grenze der DDR erlebte. Das war am Meer… Das Meer, was ich meine, ist die Ostsee. Als Kind, aufgewachsen in der DDR, habe ich hier so manche Ferientage verbracht.
Wie ich die Grenze der DDR erlebte. Am deutlichsten habe ich die Grenze am Meer erlebt, obwohl ich in Berlin direkt in ihrer Nähe wohnte. Aber ich spürte sie an der Ostsee.
Ich erinnere mich an meinen Blick über das Meer, ein Blick, der sich in den unendlichen Weiten verlor… Ich fühlte mich frei, doch hörte die Welt für mich, meine Vorstellungskraft am Horizont auf. Manchmal konnte ich an der Linie, wo sich das Wasser und der Himmel trafen, Land erkennen und stellte mir die Ferne vor. Ohne zu wissen, ob es sich um eine Insel, die zu unserem Land gehörte, handelte, oder um unbekanntes Land, dessen Hauptstadt wir im Geografie-Unterricht auswendig lernen mussten. Für eine 1 haben wir die Länder und die dazugehörigen Hauptstädte Europas fehlerfrei aufsagen müssen, während der Lehrer mit dem Zeigestock über die ausgerollte Landkarte glitt und uns zur Höchstleistung herausforderte.
In den Ferien, die ich oft an der Ostsee verbrachte, stand ich am Strand oder auf der Steilküste und schaute den Schiffen nach, sah, wie sie hinterm Horizont verschwanden. Sie wirkten winzig und nicht real, wie Spielzeugschiffchen im Plantschbecken.
Bei den Spaziergängen am Strand oder auf dem schmalen Trampelpfad der Steilküste hinter Boltenhagen, einem Ort an der Ostsee, hörte nach einiger Zeit Fußmarsch die Welt tatsächlich auf. Ein Zaun aus Holzpfählen, die mit Stacheldraht umwickelt und verbunden waren, begrenzte den Weg. Dahinter lag der Westen, in dem Arbeitslose, Obdachlose, arme, streikende und rücksichtslose reiche Menschen lebten, so sagte man uns.
Nachts spazierten lange Lichtkegel über den Strand, die die ‚unsichtbare‘ Grenze zum Meer bewachten. Zwei Mal habe ich sie ihm Rahmen einer abenteuerlichen Nachtwanderung vom Dünenübergang gesehen.
Habe ich mir darüber Gedanken gemacht? Habe ich gefragt?… Ich war Kind. Es war für mich normal. Das war die Welt, in der ich aufgewachsen bin, in der ich meine Kindheit erlebte.
geschrieben im Mai 2015 / überarbeitet im Juli 2018
Boltenhagen – Der westlichste Strand der DDR (ein Artikel des MDR)
Von der Waffenschmiede zur Ostsee-Urlaubsparadies (ein Artikel der Welt)

Steilküste, Boltenhagen, Ostsee, 2018, (c) Doreen Trittel
Knapp ein Jahr nach dem Mauerfall, 1990 bin ich dann selbst mit einem dieser Schiffe gefahren, mit einer Fähre nach Dänemark und im Jahr darauf nach Schweden – beide Male zum Schüleraustausch. Wie anders sich die Welt sich mir seitdem zeigt und sich mein Blick, mein Denken verändert haben…
Später war die Ostsee lange Zeit ein Sehnsuchtsort für mich… Dort habe ich manche fotografischen und schreibenden Versuche unternommen…

Frau am Meer, Ostsee, Rügen, sw analog 1997, (c) Doreen Trittel

Kind und Schwan an der Ostsee, Rügen, sw analog, 1997, (c) Doreen Trittel
Neben der klassischen analogen Schwarz-Weiß-Fotografie habe ich auch mit Diafilmen experimentiert. Diese wurden dann ’normal‘ wie ein Farbfilm entwickelt. Daraus entstanden diese Farben – Crossentwicklung (Wikipedia).

Ostsee, Rügen, Crossentwicklung, 2000, (c) Doreen Trittel

Ostsee, Rügen, Crossentwicklung, 2000, (c) Doreen Trittel
Auf’s Meer blicken, heißt auch immer, sich selbst begegnen…

Sich selbst begegnen, Ostsee, Darß, 2008, (c) Doreen Trittel
Segel am Horizont
Himmel
blau
zähle
die Segel
weiß und rot
am Horizont
Wellen
aus dem Meer
umspielen meine Zehen
küssen den Strand
ziehen sich zurück
nehmen mir den Stand
unter meinen Füßen
Wind
trägt
die Segel
weiß und rot
am Horizont
winken
ohne ein Wiedersehen
(c) Doreen Trittel

Eins mit den Wellen, Fotografie, digital sw, 2005, (c) Doreen Trittel
Ich fahre sehr gern zur Ostsee und genieße jedes Mal das Wellenrauschen, den Blick ins Unendliche, die fröhlich klingenden Möwenrufe, den Sand unter den Füßen, den Wind um die Nasenspitze… besonders außerhalb der Saison, gern auch, wenn es kalt ist…

Ostsee, Boltenhagen, früher Militärgebiet, 2018, (c) Doreen Trittel
Kalt war es auch im vergangenen Winter, als ich das erste Mal seit meiner Kindheit wieder in Boltenhagen war. Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Die Grenze ist verschwunden und mit ihr die Lichtkegel und die Zäune. Vereinzelte Spuren sind am Land und auch im Wasser noch zu erkennen. Aber das Meer ist geblieben.

Die Kraft des Meeres, Ostsee, Darß, 2008, (c) Doreen Trittel
Die Blogparade läuft noch bis zum 25. Juli 2018. Du kannst gern mitmachen und eine Facette zum Meer betrachten. Was bedeutet Dir das Meer? Anregungen und genauere Informationen findest Du hier, in der Einladung. #dhmmeer
von hehocra | Apr. 10, 2018 | Collagen, Ausstellungen, Ostdeutsches |
Die Geschichte von Ingeborg hat Susanne und mich in den Vorbereitungen zu unserem gemeinsamen KunstSalon-Abend stetig begleitet. Ingeborg? Wer ist Ingeborg?
Vielleicht erinnerst Du Dich an meinen Beitrag mit dem Titel Eine Künstlerin, eine Collage und die Zeit. Hierin habe ich die wunderbare Collage von Susanne Haun ‚Zum Andenken an Eure Ingeborg‚ und deren Hintergrund vorgestellt. Ingeborg ist die junge Dame, die an jedem Handgelenk eine Armbanduhr trägt, worüber wir nur spekulieren können. Ich freue mich, dass Susanne in unserer gemeinsamen Ausstellung weitere Arbeiten aus dieser faszinierenden Serie zeigt. Hierin hat sie schwarz-weiß Fotografien aus alten, fremden Fotoalben verarbeitet. Ich bin mir sicher, Ihr werdet genauso begeistert sein, wie ich, in den Collagen abzutauchen, sich Geschichten zu Ingeborg und den anderen Protagonisten auszumalen.
Diese Reise in eine vergangene Zeit, hat mich an eine eigene Zeitreise denken lassen: „Postkartengrüße aus Berlin, Hauptstadt der DDR“. Und so kommt es, dass ich diese Collagen mit der Ausstellung im Atelier von Susanne erstmals öffentlich im Original zeige. Bisher konntest Du diese Arbeiten nur online sehen.

Postkartengrüße aus Berlin, Hauptstadt der DDR, Collagen-Serie, 2013, (c) Doreen Trittel
Wie viel DDR steckt noch in Berlin? Eine Frage, die sich viele Berlin-Besucher oder Zugezogene stellen, wenn sie durch die östlichen Bezirke der Stadt gehen oder fahren, etwa, wenn sie nach Spuren des Mauerstreifens Ausschau halten. Das Eintauchen in den alten Postkarten hat mich selbst staunen lassen.
Die Grundlage der einzelnen Papiercollagen bilden originale Ansichtskarten aus der DDR. Die Postkarten dienten Berlin-Reisenden als Souvenir oder als Gruß an die Daheimgebliebenen. Die Bilder auf den alten Postkarten zeigen auf der einen Seite ein längst vergangenes und auf der anderen Seite ein heute noch vertrautes Berlin. Denn beim genauen Hinsehen, lässt sich vieles auf den Postkartenfotografien von damals heute noch wieder finden, Gebäude, Straßen und Plätze, Parks und Sehenswürdigkeiten. Oft sind die Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt worden. Einiges ist inzwischen heruntergekommen. Doch bei vielem scheint rein äußerlich die Zeit keine Rolle zu spielen.
Diese alten Postkarten habe ich zu Collagen verarbeitet. Teilweise habe ich sie vorher mit einer Nagelschere und Prickelnadel zerkratzt. Hierin spiegelt sich dann wieder der Lauf der Zeit, der Alterungsprozess, aber auch die Wut über schmerzliche Erinnerungen, die mit dem damaligen politischen und gesellschaftlichen System verbunden sind. Die dazu genommenen Elemente, meist aus Papier, zum Teil aber auch Textilien, bilden einen Bezug zum Heute. Mal mit einem Augenzwinkern, mal mit dem Wissen um den Verlauf der Geschichte zeigt sich der heutige Blick auf die Vergangenheit. Die Erinnerungen mischen sich mit den Ereignissen, Erfahrungen und Erlebnissen der Jahrzehnte, die seit dem Fall der Mauer vergangen sind.

Postkartengrüße aus Berlin, Hauptstadt der DDR, Collagen-Serie, 2013, (c) Doreen Trittel
Die Serie umfasst insgesamt 16 Collagen. Einen großen Teil findest Du noch bis zum 4. Mai 2018 in der gemeinsamen Ausstellung „Künstlerischer Umgang mit Erinnerungen“ im Atelier von Susanne.
Ort: Susanne Haun, Groninger Str. 22, 13347 Berlin (4. Etage ohne Fahrstuhl), Tram M13, M50 Osramhöfe, U6 Seestraße, Leopoldplatz, U9 Nauener Platz
Verbleibende Öffnungszeiten: Fr. 20. April 10 – 13 Uhr, Do 26. April 15 – 18 Uhr, Do 3. Mai, 15 – 18 Uhr, Fr. 4. Mai 10 – 13 Uhr.

16. KunstSalon „Künstlerischer Umgang mit Erinnerungen“ (c) Susanne Haun und Doreen Trittel. Collage rechts: Susanne. Collagen links und Mitte: Doreen.
Folgende Beiträge sind im Rahmen des KunstSalons und der Ausstellung bereits erschienen (Auflistung in chronologischer Reihenfolge).
Bei Susanne Haun im Blog:
Geborgenheit und Freiheit – Collage…
Forever Young – Collage…
Einladung zum 16. KunstSalon am Dienstag bei Susanne Haun – Künstlerischer Umgang mit Erinnerung – Gast Doreen Trittel
Vorstellung der Künstlerin Doreen Trittel – hehocra…
Aufbau der Installation…
…Bericht vom 16. Kunstsalon…
…Künstlerischer Umgang mit Erinnerungen als Künstlerbuch
Hier bei mir im Blog:
Eine Künstlerin, eine Collage und die Zeit
Zu Gast im Kunstsalon
KunstSalon – Der Prozess des Werdens
Die Geburtsstunde naht
Erinnerungen an der Wand – aber nicht nur
Beim KunstSalon mit der Abendsonne am Weltglückstag

16. KunstSalon „Künstlerischer Umgang mit Erinnerungen“ (c) Susanne Haun und Doreen Trittel. Collagen rechts: Susanne. Collagen links: Doreen.
von hehocra | Sep. 25, 2014 | 30 Jahre... - Kunst & mehr, Ostdeutsches |
Das Zeit Magazin widmet sich jetzt in einer Reihe mit dem Titel „Die ersten 25 Jahre“ den letzten 25 Jahren nach dem Fall der Mauer und der gesamtdeutschen Wiedervereinigung. Den Auftakt machen eine Reihe von interessanten Texten von sehr jungen Ostdeutschen bzw. im Osten nach dem Mauerfall Geborenen: „Tut doch nicht so, als sei alles in Ordnung. Ostdeutsche gibt es nicht mehr, heißt es, die Jungen seien längst gesamtdeutsch. Wirklich? Neun Ostdeutsche schreiben über eine Herkunft mit Hindernissen.“
Meine ostdeutsche Vergangenheit ist für mich ein Thema, mit dem ich mich immer wieder auseinandersetzte. Ich war Teenager, als die Mauer fiel. Bei meinen Kindheitserinnerungen, die eben eng mit der DDR verbunden sind, geht es für mich vor allem um meine eigene Identität und meine Wurzeln. Wo komme ich her? Was hat mich wie geprägt? Welche Rolle spielt meine Kindheit in diesem Land, was es nicht mehr gibt, in meinem Leben heute? Und wann erlebt man das schon mal? Ein Land, das so plötzlich verschwindet? Mit diesen und anderen Fragen setzte ich mich nicht nur in Texten sondern vor allem in meiner Kunst auseinander.

Wende, Fotocollage, Detail, 2016 (c) Doreen Trittel
Interessant ist auch, dass das Ost-West-Thema für mich erst zum Thema geworden ist, als ich nicht mehr in Berlin war. Das fing mit einem längeren Aufenthalt in Luxemburg Ende der Neunziger an und setzte sich mit meinem Umzug nach Saarbrücken und einem mehrwöchigen Aufenthalt in Brüssel vor zehn Jahren fort. Denn irgendwann kam ich immer an den Punkt, wo ich merkte, ich bin anders, ich habe andere Erinnerungen und Erlebnisse, die ich dort mit niemandem teilen konnte. Ich war die Exotin. Ich lebe schon wieder viele Jahre in Berlin (im Westteil), aber das Ost-West-Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Ich tue mich immer schwer damit, mich in Veröffentlichungen zum Thema wieder zu finden? Das ist dann eine Frage der persönlichen und individuellen Erinnerungen und Sichtweisen. Mit den viel in schwarz-weiß dargestellten Berichten kann ich selbst nichts anfangen. Mich interessiert das Graue dazwischen, das Graue, was ich selbst auch erlebt habe.
Und dann stelle ich mir auch die Frage, wie ich meiner Tochter eines Tages berichten werde, wie das so war in der DDR. Was wird sie fragen? Wie wirkt meine Vergangenheit und die meiner Eltern und Großeltern in ihr fort, wenn sie über zwanzig Jahre danach mit Pittiplatsch, dem Traumzauberbaum und den Kinderliedern von Gerhard Schöne aufwächst?
Wie ich auch schon in meinem Bericht zu einer Veranstaltung Ostdeutsche Frauen werden sichtbar, die ich besuchte, feststellte: Das Thema ist immer noch aktuell. Es beschäftigt , die Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, nach wie vor. Und ich finde es großartig, wenn individuelle Erfahrungen Raum bekommen, wenn wir dadurch die Schubladen auflösen und uns für eine Welt fern der Klischees öffnen können, wenn auch diese Erfahrungen das künftige Geschichtsbild prägen. Und dazu gehören auch die jetzt ganz jungen Stimmen. Denn sie sind der Beweis dafür, dass die unterschiedlichen Vergangenheiten in den Familien, in den beiden deutschen Gesellschaften auch in der Generation der kurz vor oder kurz nach dem Mauerfall Geborenen prägt. Und letztendlich ist es gesamtgesellschaftlich eine Frage der Integration. Denn ich fühle mich als Gesamtdeutsche mit sozialistischem Migrationshintergrund. (Diese für mich sehr treffende Beschreibung fand ich vor vielen Jahren in diesem Spiegel-Artikel.) #de25